Ein kalter Tag im Paradies – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Alex-McKnight-Serie (German Edition)
Strähnen. Er war dünn. Seine Handgelenke wirkten so fragil, als hätte man sie wie Bleistifte zerbrechen können. Endlich sah er mich an.
Er war es.
Diese Augen kannte ich. Alles an ihm hatte sich verändert, aber diese Augen waren dieselben geblieben. Ich hätte sie überall wiedererkannt. In jedem Kontext. Vergiß das Gefängnis, vergiß, daß ich ihn erwartet habe. Mach einen Lieferanten aus ihm und schicke ihn vor meine Tür. Sobald ich diese Augen sähe, würde ich ihn erkennen.
Er saß da und sah mich an, genauso wie er mich angesehen hatte, bevor er mich niederschoß. Die Angst kehrte zurück. Im Kopf wußte ich, daß ich sicher war, aber die physische Reaktion auf unser Wiedersehen hatte ich dennoch nicht unter Kontrolle.
Ich zwang sie nieder und versuchte mich auf das zu konzentrieren, was mich hergeführt hatte. Ich griff zum Telefon und wartete, daß er dasselbe täte. Als das der Fall war, räusperte ich mich und sprach ihn an.
»Erinnern Sie sich an mich?« fragte ich.
Er sah mich nur durch das Glas an.
»Ich war Polizeibeamter in Detroit«, sagte ich. »Sie haben auf mich geschossen.«
»Ja?« sagte er. Seine Stimme war flach. Sie klang kaum menschlich. Sie hätte aus einer Maschine kommen können.
»Sie haben meinen Partner getötet«, sagte ich.
»Reden Sie weiter.«
»Das ist jetzt lange her«, meinte ich. »Und deshalb bin ich auch nicht hier.«
»Ich weiß, warum Sie hier sind«, sagte er.
»Das wissen Sie?«
»Ja«, sagte er. »Sie wollen Informationen.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich bin hier schon sehr lange. In mancherlei Hinsicht bin ich zu einem weisen Mann geworden.«
Mir fiel es schwer, ihn anzusehen. Sein Gesicht war abgehärmt und ausgezehrt. Seine Haare standen nach allen Seiten ab wie das Schlangenhaar der Medusa. Das machte seine Augen nur noch schrecklicher. »Kennen Sie einen Mann namens Raymond Julius?« fragte ich.
Er sah mich an, als habe er mich überhaupt nicht gehört.
»Weisheit ist ein kostbares Metall«, sagte er. »Wissen ist das Erz, aus dem die Weisheit ausgeschmolzen wird – sagt man so?«
»Kennen Sie den Mann?« insistierte ich.
»Ist es das richtige Wort? Ausgeschmolzen?«
»Raymond Julius. Kennen Sie ihn?«
»Sie alle wollen von mir etwas wissen, ist es nicht so?«
»Wer? Wer ist ›wir alle‹?«
»Ihr alle«, sagte er. »Anwälte, Psychologen, Wissenschaftler. Ihr alle wollt Wissen, damit ihr weise werdet. Ihr alle glaubt, ihr könnt mich austricksen.«
Ich holte tief Luft. »Ich bin kein Anwalt oder Psychologe oder Wissenschaftler. Und ich bin bestimmt nicht den ganzen Weg hierhingekommen, um Weisheit aus Ihnen rauszuschmelzen, kapiert? Können Sie nicht eine Minute wie ein menschliches Wesen mit mir reden?«
»Als ich zum ersten Male aufgespürt wurde, habe ich etwas gesagt. Da waren zwei Polizisten. Ich erinnere mich an sie. Sie sind in meine Wohnung gekommen.«
»Ach du Allmächtiger, das habe ich Ihnen doch gerade erzählt. Ich war einer von diesen Polizisten.«
»Dann haben sie mich gefangen und wollten mich zum Reden bringen. Angeblich sollte mich ein Mann im Prozeß vertreten. Er wollte, daß ich sage, ich bin verrückt.«
»Rose, haben Sie mich gehört? Ich habe gesagt, daß ich einer von den Polizisten war.«
Er drohte mir mit einem Finger und kicherte. Es klang wie das Klirren einer Kette. »Raffiniert«, sagte er. »Ich kapiere, warum man Sie geschickt hat. Sie sehen genauso aus wie er. Eine raffinierte Falle. Ich muß Sie lobend erwähnen.«
»Rose, ich war damals bei Ihnen. Sie haben auf mich geschossen, das wissen Sie doch noch? Sie haben auf uns beide geschossen.«
»Ja, ich habe auf Sie beide geschossen. Auf die beiden, meine ich. Sehen sie, Sie wollen mich austricksen.«
Ich preßte die Hand ans Telefon. Das war hoffnungslos. »Okay, Sie haben gewonnen«, erklärte ich. »Sie sind zu schlau für mich. Offensichtlich haben Sie hier eine ganze Menge ausgeschmolzen.«
» Sie bringen mich nicht zum Reden«, sagte er. »Ich werde meinen Plan nie verraten.«
»Natürlich nicht«, erwiderte ich. »Das würde auch nie jemand von Ihnen verlangen.«
»Ich bin stark«, versicherte er mir. »Und mit jeder Stunde werde ich stärker.«
»Das sehe ich«, sagte ich. »Sie sehen großartig aus. Sie tun wohl viel für Ihre Fitneß?«
»Sie machen sich über mich lustig.«
»Sie haben auch abgenommen. Welches Gewicht haben Sie jetzt erreicht? Achtzig Pfund?«
»Sie wagen es, sich über mich lustig zu machen?«
»Und ob,
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