Ein Kleid von Dior, Freund mit Rolls-Royce, Mrs. Harris fliegt nach Moskau
daß sie England hinter sich ließ und auf dem Weg war, ein fremdes Land zu betreten, unter fremde Menschen zu kommen, die eine fremde Sprache redeten und die nach allem, was sie über sie gehört hatte, unmoralisch und habsüchtig waren, Schnecken und Frösche aßen, zu Lustmorden neigten und die zerstückelten Leichen in Koffern verbargen. Aber sie hatte trotzdem keine Angst, denn Angst kommt im Wortschatz einer britischen Reinmachefrau nicht vor; sie war nur entschlossen, auf der Hut zu sein und nicht mit sich spaßen zu lassen. Es war eine ungeheure Besorgung, die sie nach Paris führte, doch sie hoffte, dabei so wenig wie möglich mit Franzosen zu tun zu haben.
Ein gesunder britischer Steward servierte ihr ein gesundes britisches Frühstück und wollte es nicht einmal bezahlt haben, sondern sagte, es sei schon in Ordnung. Dieser kleine Imbiß komme mit einer Empfehlung von der Luftverkehrsgesellschaft.
Mrs. Harris drückte das Gesicht ans Fenster und ihre Handtasche an die Hüfte. Der Steward kam durch den Gang und rief: «Gleich sehen sie in der Feme den Eiffelturm zu Ihrer Rechten.»
«Lieber Himmel!» sagte Mrs. Harris vor sich hin, als sie einen Augenblick später seine Nadelspitze entdeckte, die aussah, als wäre sie von unten durch einen alten Flickenteppich von grauen Dächern und Schornsteinen hindurchgestochen und zöge den dünnen blauen Faden eines Flusses hinter sich her. «Der ist ja gar nicht so groß wie auf den Bildern.»
Etwa eine Minute später landeten sie ohne den geringsten Aufprall auf der Betonbahn des französischen Flughafens. Mrs. Harris’ Herz schlug noch höher. Nicht eine einzige der düsteren Prophezeiungen ihrer Freundin Mrs. Butterfield, das Ding werde entweder in der Luft explodieren oder mit ihr ins Meer stürzen, hatte sich bewahrheitet. Vielleicht würde sich schließlich auch Paris als nicht gar so entsetzlich erweisen. Dennoch nahm sie sich vor, von jetzt an mißtrauisch und vorsichtig zu sein, um so mehr als die lange Omnibusfahrt von Le Bourget zum Luftbahnhof am Invalidendom durch fremde Straßen mit fremden Häusern und Geschäften ging, in denen Waren in fremder, unverständlicher Sprache angeboten wurden.
Der Mann von der Luftfahrtgesellschaft British European Airways, dem es oblag, dem einen oder andern vom Tumult des Luftbahnhofs verwirrten Reisenden beizustehen, warf einen Blick auf den Hut, die Handtasche, die ausgetretenen Schuhe und natürlich in die unerschrockenen, dreisten kleinen Augen und ordnete die Frau sofort richtig ein. sagte er halblaut zu sich selber,
Er bemerkte ihre Unsicherheit, warf einen Blick in seine Liste und riet abermals richtig. Ruhig ging er auf sie zu, tippte an seine Mütze und fragte: «Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, Mrs. Harris?»
Die gescheiten, wachsamen Augen prüften ihn sorgfältig auf irgendwelche Anzeichen von sittlicher Verderbtheit oder faulem, ausländischem Zauber. Zu ihrer Enttäuschung sah er jedoch genau wie ein Engländer aus. Da er sie höflich und offenbar ohne böse Absicht angesprochen hatte, sagte sie vorsichtig: «Was, man spricht hier drüben also auch echtes Englisch?»
Der Mann von der Fluggesellschaft erwiderte: «Das muß ich ja wohl, Madam, ich bin nämlich Engländer. Aber wahrscheinlich werden Sie feststellen, daß die meisten Leute hier drüben ein bißchen Englisch sprechen, und so kommen Sie schon durch. Ich sehe, daß Sie heut abend mit der Elf-Uhr-Maschine wieder zurückfliegen. Haben Sie ein bestimmtes Ziel, wo Sie jetzt hinwollen?»
Mrs. Harris überlegte, wieviel sie einem Fremden wohl erzählen könne und entgegnete dann fest: «Ich möchte nur ein Taxi, wenn’s Ihnen nichts ausmacht. Ich hab ja meine zehn Pfund.»
«Selbstverständlich», fuhr der Mann von der Fluggesellschaft fort, «aber besser wäre es, wenn Sie etwas davon in französisches Geld eingetauscht hätten. Ein Pfund kommt ungefähr auf tausend Frank.»
In der Wechselstube wurden einige von Mrs. Harris’ grünen Einpfundnoten in dünne, schmutzigblaue Fetzen von Scheinen mit der Zahl 1000 darauf und in ein paar abgegriffene Hundertfrankmünzen aus Aluminium eingetauscht.
Mrs. Harris war mit Recht entrüstet. «Was ist denn das?» fragte sie. «Nennt ihr das Zeug Geld? Die Münzen fassen sich ja an wie Spielgeld.»
Der Mann von der Fluggesellschaft lächelte.
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