Ein kleines Stück vom Himmel nur
Kind in sich zu spüren, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Vielleicht.« Nancy hatte noch nie viel für psychologische Betrachtungen übrig. »Ich bin jedenfalls froh, dass sie ihre Angst nicht auf dich übertragen hat. Es ist ein schönes Gefühl zu wissen, dass meine Enkelin immer noch in den Wolken schweben wird, wenn ich mir schon längst das Gras von unten anschaue.«
Mir läuft ein Schauer über den Rücken. »Sag doch nicht so was, Grandma. Du wirst uns noch alle überleben!«
»Das will ich doch nicht hoffen!« Ihr Gesicht wird ernst. »Sarah, ich möchte mit dir über etwas reden.«
»Aber nicht über deinen Tod.«
Grandma Nancy lächelt schwach. »Nein. Jedenfalls nicht streng genommen. Doch ich werde immer älter, und dann fallen einem die Dinge ein, die man gerne noch erledigen möchte, bevor es zu spät ist. Ich möchte dich bitten, etwas für mich zu tun, wenn du nach England zurückkehrst. Ich möchte, dass du jemanden für mich ausfindig machst.« Ihre Finger, die von der Arthritis ein bisschen geschwollen sind, wandern zu dem Stapel mit dem Buch und den anderen Gegenständen und halten alles zusammen, so gut es ihre steifen Gelenke erlauben. »Lass uns etwas trinken.«
»Ich habe gerade am Flugplatz einen Kaffee mit Monica getrunken«, erwidere ich.
»Ich rede auch nicht von Kaffee. Ich werde mir einen Sherry genehmigen. Die Sonne steht über den Rahen, jetzt darf man sich einen genehmigen, wie man in England zu sagen pflegte. Warum trinkst du nicht auch einen mit?«
»Ich hätte lieber ein Glas Wein.«
»Bedien dich, du weiÃt ja, wo er steht.«
Ich gieÃe ihr einen Sherry ein, hole eine Flasche kalifornischen Rosé aus dem Kühlschrank in der Küche und gieÃe mir ein Glas über einen Berg Eiswürfel ein. Der Eiswürfelbereiter quillt praktisch schon wieder über und schiebt knirschend Nachschub in den Spender.
»Komm, wir nehmen die Getränke mit nach drauÃen.« Grandma Nancy steht hinter mir in der Küchentür, eine winzige Gestalt in ihren gerade geschnittenen Leinenhosen und der bedruckten Seidenbluse. Das blau gebundene Buch hat sie unter einen Arm geklemmt, das Kästchen und das Fotoalbum hält sie in der Hand. »Könntest du vielleicht meinen Drink tragen? Ich möchte nicht, dass er mir hinfällt. Das wäre doch eine Verschwendung von gutem Sherry, und mein bestes Kristall wäre auch hin!«
Ich gehe ins Wohnzimmer, hole Nancys Sherry und folge ihr ins Freie. Ein Tisch und Stühle stehen im Schatten eines groÃen, geblümten Sonnenschirms; jenseits der Holzterrasse schimmert der obligatorische Pool azurblau im hellen Sonnenlicht. Wir setzen uns.
»Also, was kann ich für dich tun?«, erkundige ich mich und trinke einen Schluck Wein.
Grandma Nancy schweigt einen Moment lang, als sei sie sich nicht ganz sicher, wie sie anfangen soll. Dann sagt sie: »Du weiÃt doch, dass ich während des Krieges in England war.«
»Als du für die Air Transport Auxiliary geflogen bist. Ja, natürlich.«
Aber viel mehr als das weià ich auch nicht. Dass Jacqueline Cochran, eine der berühmtesten Pilotinnen ihrer Zeit, mit Nancy Kontakt aufgenommen hat und ihr angeboten hat, bei der kleinen, ausgesuchten Gruppe von amerikanischen Pilotinnen mitzumachen und ihr nach England zu folgen. Dass sie dort etwas länger als ein Jahr verbrachte und im Zubringerdienst Kampfflugzeuge für die RAF flog und dann wieder nach Hause zurückkehrte. Sie hatte von den Flugzeugen erzählt und davon, wie viel Spaà es ihr gemacht hatte, sie zu fliegen â doch an dieser Stelle endeten ihre Erinnerungen immer. Nie erzählte sie von den Menschen, die sie dort kennengelernt hatte, oder von den Freundschaften, die sie geschlossen haben muss, und ich hatte mich schon oft gefragt, ob sie vielleicht Dinge für sich behielt, die zu schmerzlich für sie waren, um sie anderen mitzuteilen. Grandma Nancy kann sehr verschlossen sein. So auch, wenn das Thema auf John kommt, ihren ältesten Sohn. Sie hat ihn vergöttert und spricht dennoch kaum je über ihn. Sie hat die Erinnerung an ihn in ihrem Herzen begraben.
Jetzt warte ich, während die Neugier in mir brennt, sage aber nichts aus lauter Angst, dass sich das Fenster gleich wieder schlieÃen und die Jalousien heruntergelassen werden könnten.
»Damals haben
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