Ein Kreuz in Sibirien
Tjumen über die tatsächliche Situation und Stimmung in den Lagern aufzuklären – es genügte, wenn er auf seine Art half. Als dann das Paket mit den bestellten Noten eintraf, lag ein Schreiben bei, in dem stand, daß ›Hänsel und Gretel‹ sich vorzüglich für das Gebiet eigne; ein dichter, wilder Wald spiele ja die Hauptrolle. Es war das erste Mal, daß Abukow das Gefühl hatte, der Genosse in Tjumen müsse einen galligen Humor besitzen.
Mit Bataschew , dem Boxer, traf sich Abukow jedesmal, wenn er in Surgut einen freien Tag hatte. Auch die Witwe Grigorjewa lernte er kennen, eine dickbusige, fröhliche Person, die Abukow sofort, als Bataschew Bier aus dem Keller holte, zärtlich ins Ohr flüsterte: »Maxim Leontowitsch hat jeden Tag von acht Uhr morgens bis fünf abends Dienst. Allein bin ich dann! Wir könnten einen Kuchen zusammen essen.«
Und Bataschew sagte heimlich zu Abukow : »Wie geht es Axinja Iwanowna Wassiljuka , dem roten Teufelchen? Hast du sie im Lager noch einmal gesehen? Welch ein Weibchen! Hat mich gepflegt wie einen prämierten Stier, damit ich Rassim auf die Nase schlage – aber dann, Brüderchen, nach dem Sieg, hat sie mich rangenommen, daß alles in mir klingelte. Kann man sie wiedersehen? Ist's möglich, sie fürs Theater zu verpflichten? Was wollt ihr spielen? Eine Märchenoper? Sag, was ihr braucht. Mein Güterbahnhof ist unerschöpflich!«
Der glücklichste Mensch im weiten Umkreis war allerdings Mustai Jemilianowitsch . Seine Essenzen zur Glühweinherstellung waren eingetroffen. Zwei riesige Kisten voll Tüten und Plastikflaschen. Es roch nach Nelken, Zimt und Kardamom, und Mustai fiel Abukow um den Hals und stieß urige Jubellaute aus.
»Nun habe ich alles!« rief er. »Jetzt beginnt die Kunst!«
»Und wo ist der Rotwein?« fragte Abukow .
»In den Tüten.«
»Das ist doch nicht möglich!«
»Sagte ich nicht: Jetzt beginnt die Kunst. Man nehme Wasser aus meinem berühmten weichen Brunnen, schütte das Wunderpulver dazu, im richtigen Mischungsverhältnis, koche das Ganze auf und würze es mit den Segnungen des Orients. Ha! Die Augen werden dir aus dem Kopf fallen, wenn du meinen Glühwein trinkst, Victor Juwanowitsch . Einzigartig ist er auf der Welt.«
Davon war Abukow überzeugt und schwor sich, nicht einen einzigen winzigen Schluck von Mirmuchsin s Zauberglühwein zu probieren.
Von Woche zu Woche wurden die Anlieferungen für Surgut spärlicher. Smerdow lief herum wie ein heimatloser Büffel, zählte die Vorräte in seinen Depots, telefonierte nach Swerdlowsk zur Zentralverteilungsstelle, klagte per Telefon in Perm sein Leid, ließ alle Fahrzeuge zum Güterbahnhof rattern, wenn Bataschew meldete: »Ein neuer Zug kommt aus Tjumen« – aber meistens waren es Ersatzteile für die Maschinen an der Erdgasleitung; neue Bagger mit Stahlzähnen, die den Dauerfrostboden aufreißen sollten; ganze zusammengelegte Dörfer aus Fertighäusern. Sie rollten nach Surgut, wurden zur Seite gefahren und abgestellt, denn niemand war da, der sie angefordert hatte, und keiner brauchte sie auch. Dafür blieben die Lebensmittel für die Lager aus, und Smerdow schrie: »Sollen etwa die Holzwände der Fertighäuser gefressen werden?«
Ende Dezember rief er seine Fahrer in der leeren Halle V zusammen, vollführte eine alles umfassende Armbewegung und sagte mit bewegter Stimme:
»Geht zu euren Weibern, macht ihnen ein Kind, denn hier ist nichts mehr zu tun. Leer sind die Lager. Heute morgen habe ich sechs Mäuse gesehen, die weinten bitterlich. Es reicht gerade noch für die Baulager I bis VI, die sind gesichert – aber für die Straflager gibt es keine Krume. Der Nachschub nach Tjumen ist unterbrochen. Irgendein Idiot hat die Waggons in die falsche Richtung geschickt. Bis das bemerkt wird, kann es Wochen dauern. Hofft nicht darauf, daß sie dann zurückkommen. Da, wo sie gelandet sind, wird man alles tun, um sie festzuhalten. Außerdem wird man Irrtümer bei Behörden niemals zugeben. Also darf die Brigade III in den Winterschlaf versinken.«
Abukow blieb zurück, als die anderen heftig diskutierend das Depot verließen, und kam auf den unglücklichen Smerdow zu. Transportbrigade III. das war die Kolonne für JaZ 451/1, das Frauenlager und drei Außenlager Nishni Wartowskoje .
»Was ist noch?« sagte Smerdow gequält. »Kannst deinen Kühlwagen einbalsamieren, Victor Juwanowitsch . Im Supermarkt gibt es Mottenkugeln.«
»Hinaus ins Lager möchte ich.« Abukow sog nervös an einer Papyrossi.
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