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Ein Kreuz in Sibirien

Ein Kreuz in Sibirien

Titel: Ein Kreuz in Sibirien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Lieferung des Holzes … Wen zwingt man zur dreckigsten Arbeit? Mich! Mein Lager 451/1! Wem hält man das Soll vor die Nase? Mir! Und wen tritt man in den Hintern, wenn es nicht klappt? Auch mir! – Und da stehen Sie herum, Ilja Stepanowitsch , führen idealistische Reden und müssen nun als Auge des KGB berichten: Mit Firlefanz? Mit Operettenmusik und Theatertanz? Glauben Sie wirklich, daß man in Moskau Verständnis dafür hat? Ich versuche, allen Widerständen zum Trotz das Soll zu erfüllen, und muß mir dafür sagen lassen, daß ich die Menschen hasse! – Kotzen möchte ich, wenn mir das Essen im Bauch nicht zu schade wäre!«
    »Sie sind unfähig, die gesellschaftliche Aufgabe der Kultur zu begreifen«, entgegnete Wolozkow . »Das Theater ist wichtig!«
    »Vierzig Mann nimmt es mir!« schrie Rassim . »Wenn jeder von denen nur einen Meter gräbt, sind das vierzig Meter! So rechne ich! Mit einem Wiener Walzer können wir keine Rohre verlegen!« Er starrte auf Kabulbekow , der an seiner Zigarre lutschte, als sei es eine Zuckerstange. »Warum schweigen Sie, Belgemir Valentinowitsch ? Auch Sie haben Ihr Soll! Auch Ihre Weiber sehen nicht aus wie Nymphen. Knochig, verhungert und elend sind auch sie. Wieviel werden in diesem Winter eingehen? Na, darf man fragen? Bekommt man darauf eine Antwort?«
    »Im vorigen Winter waren es dreiundvierzig von dreitausend. Dreiundvierzig zuviel. Neun Selbstmorde waren darunter.« Kabulbekow saugte an seiner Zigarre. »Damit müssen wir leben, Rassul Sulejmanowitsch . Aber gerade, weil dieses Leben so mistig ist, sollte man das bißchen Sonne, womit man es wärmen kann, nicht auch noch wegdrücken. Abukow , sagen Sie doch auch was! Stehen herum wie eine Dekoration! Ihre Idee war es.«
    »Alles ist gesagt, was gesagt werden konnte«, antwortete Abukow . »Hat man die glücklichen Gesichter im Saal gesehen? Da war plötzlich Hoffnung, da war verschüttetes Leben wieder aufgebrochen, Freude in den verlassenen Herzen …«
    »Jetzt predigt er wieder!« rief Rassim und verzog sein Gesicht, als habe er Essig getrunken. »Ein Jahrhundert zu spät sind Sie geboren, Victor Juwanowitsch . Unter den Zaren hätte Ihre Begabung ausgereicht, um Metropolit zu werden. Mindestens Bischof.«
    »Eine Rolle spiele ich«, antwortete Abukow völlig ruhig, obwohl er einen forschenden Blick von Wolozkow auffing und Kabulbekow herzhaft lachte. »Mehr nicht. Man ist ein guter Schauspieler oder gar keiner. Mittelmaß ist immer schädlich.«
    »Was will man also?« Rassim sah sich um, als ständen noch andere Zuhörer im Zimmer. »Hier auf der Stelle eine Entscheidung? Nicht von mir! Warten wir ab, was das GULAG zu dem Theater sagt. Der Genosse Wolozkow ist ja ein fleißiger Schreiber. Wer will hier verantworten, daß vierzig Arbeitskräfte – und später vielleicht noch mehr – aus dem Aufbauprozeß gezogen werden? Einen ruhigen Schlaf will ich behalten, Genossen.«
    Während Kabulbekow in der Kommandantur blieb, da er dort sein Bett hatte, begleitete der Politkommissar Abukow ein Stück. Ein neuer Sturm war aufgekommen, und obgleich sie mit Mänteln und Mützen geduckt davonliefen, waren sie mit gefrorenem Schnee überzogen, als sie das Hospital erreichten und in die warme Vorhalle kamen. Gegenseitig klopften sie sich ab und stampften den Schnee von den Stiefeln.
    »Ich besuche noch Larissa Dawidowna «, sagte Abukow und zog seinen Mantel aus. »Kommen Sie mit?«
    »Nein. Auf Sie wartet sie, nicht auf mich.«
    »Freunde sind immer willkommen, Ilja Stepanowitsch .«
    »Bin ich ein Freund?« Wolozkow legte den Kopf schief. Sehr jung sah er aus mit seinem von der Kälte gerötetem Gesicht. »Wo gibt es das: ein KGB-Mann als Freund?«
    »Hier! Gelernt habe ich, daß hier alles anders ist. Eine Welt für sich, nicht meßbar und nicht mit dem Verstand zu erfassen wie ein normales Leben. Kann man Sibirien begreifen? Die Straflager? Die Menschen, die es tatsächlich überleben? Die Kraft, die man hier braucht, und die unfaßbare Hoffnung? Wo sonst gibt es das noch?«
    »Wer sind Sie, Victor Juwanowitsch Abukow ?« fragte Wolozkow langsam.
    »Ein Kraftfahrer aus Kirow. Gelernter Automechaniker. Bitte, man prüfe das nach …«
    »Wozu?« Wolozkow lächelte fast verträumt. »Überwacht man einen Freund? Einem Freund vertraut man. Wir wären arm ohne Freundschaft, stimmt es?«
    »Halten wir sie fest, unsere Hände«, sagte Abukow und streckte sie Wolozkow hin. Der ergriff sie, drückte sie und ließ sie nicht los:

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