Ein Kuss fur die Unsterblichkeit
hätte
schon früher hierherkommen sollen, um euch für Lucius zu danken«, sagte ich und
verneigte mich. »Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie unglaublich euer Sohn
ist. Und ich danke euch dafür, dass ihr den Pakt unterzeichnet habt, der ihn zu
meinem Mann gemacht hat und mich auf ewig mit ihm verbindet.«
Als ich das
Wort sagte – ewig –, sah ich auf und stellte mich dem, was mich zu lange davon
abgehalten hatte, diese Gruft zu betreten. Ich schaute endlich ... in die
Zukunft.
Anders als
die Dragomirs, die einfach leere Nischen in ihrem Mausoleum gelassen hatten – wovon eine vielleicht für mich reserviert war, vielleicht aber auch nicht –,
waren die Vladescus realistischer, sogar was die Aussichten für ihre
Lieblingssöhne anging. Ich las die Zeichen im Marmor.
LUCIUS VALERIU VLADESCU, A. D. 1993 –
Ich starrte
auf den eingravierten Namen, aber ich schauderte nicht. Lucius hatte oft an
dieser Stelle gestanden und jedes Mal seinen Namen gelesen, wenn er seine
Eltern besuchte. Vielleicht konnte er deswegen auch in anderen Situationen
seinem eigenen Ende ins Auge sehen.
Und dann
machte ich Lucius an diesem düsteren, schrecklichen Ort ein weiteres
Versprechen.
Ich würde
mit ihm gemeinsam vernichtet werden, ehe ich irgendwie daran beteiligt wäre,
ihn zur Vernichtung zu verurteilen. Ich würde selbst Verrat begehen, indem ich
mich der Entscheidung der Ältesten widersetzte. Ich würde einige unserer
größten Gesetze brechen und zusammen mit meinem Mann sterben, wenn es so weit
kommen sollte.
Ich hatte
Lucius an unserem Hochzeitstag geschworen, bis in alle Ewigkeit mit ihm
zusammenzubleiben, und ich würde das Versprechen halten. Wenn nicht auf die
Weise, wie ich hoffte, dann eben so, wie ich musste. Ich würde entweder sofort
vernichtet werden oder, wenn Lucius doch noch irgendwie freigesprochen werden
sollte, aber bereits im Reich der Albträume verloren wäre, würde ich ihm
dorthin folgen und ihn finden und wir würden gemeinsam leiden, denn ich würde
nie wieder irgendjemandes Blut trinken wollen. Ich würde lieber qualvoll die
Unsterblichkeit an seiner Seite erdulden als auch nur fünf Minuten alleine in
einer Burg mit allen Bequemlichkeiten leben, die man sich mit Geld kaufen
konnte.
Ich pustete
die Kerzen aus, verließ das Mausoleum und machte mich auf den Weg zurück. Als
ich den Wald voller Wölfe durchquerte, fragte ich mich, wer mich wohl begraben
würde, wenn es tatsächlich so weit kommen sollte.
Würde es
mein Onkel Dorin sein, den seine Ängste schon längst lebendig begraben hatten,
während er gegen Schatten ankämpfte, die noch nicht einmal da waren?
Ich dachte
mehr und mehr über meine eigene Beerdigung nach, und während ich das tat, fing
ich an, immer schneller zu gehen, und obwohl Lucius darauf bestand, dass
Mitglieder des Königshauses niemals rannten, lief ich wie um mein Leben, als
ich fast zu Hause war.
Ich musste
mir die Carte de Ritual ansehen.
Das Buch,
das bis ins kleinste Detail vorschrieb, wie unsere Clans die Rituale um
Geburt, Heirat ... und Vernichtung durchführten.
Kapitel 114
Antanasia
Meine Finger zitterten vor Aufregung und
Zorn, als sie auf der entsprechenden Seite der Carte de Ritual die
Zeilen entlangfuhren, während ich gewissenhaft die Wörter mit meinem
Rumänisch-Englisch-Wörterbuch übersetzte, das in der letzten Zeit ziemliche
Eselsohren bekommen hatte.
Inmormintarea
... Pentru ... Conducator ...
Innerhalb
von drei Stunden hatte ich den gesamten Teil über Beerdigungen für Älteste
übersetzt. Besonders sorgfältig war ich bei dem Teil mit dem kurzen Satz
gewesen, der vor dem Glockenläuten gesprochen werden sollte. »Vom respecta
acum tacere la marca Claudiu Vladescu ile trecerea in eterna tacere.«
Und als der
Morgen dämmerte, schlug ich das Buch mit einem Knall zu, der die Grundmauern
der Burg erschüttert haben musste.
Alles, was
ich darin gelesen hatte, und noch andere Dinge, an die ich mich jetzt
erinnerte – eine Bemerkung zu einer Flasche Blut, ein Korken, der etwas zu
früh gezogen wurde, eine zitternde rechte Hand ...
Es ließ
sich alles mit ... Verrat übersetzen.
Kapitel 115
Mindy
Vor dem
zweiten Verhandlungstag
wollte ich unbedingt mit Jess sprechen, doch sie schlief in dieser Nacht nicht
in ihrem Bett. Ich wartete stundenlang auf sie, weil ich sie ganz dringend vor
dem warnen wollte, was ich glaubte, über Ylenia und Ronnie herausgefunden zu
haben.
Ich
schickte ihr mehrere SMS und versuchte, sie auf ihrem Handy
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