Ein Kuss vor Mitternacht
Vielleicht habe ich voreilig gehandelt“, gestand er. Francesca glaubte, einen Anflug von Spott in seinen Augen zu erkennen. „Zweifellos werden Sie meine Schwäche zu Ihrem Vorteil nutzen.“
„Worauf Sie sich verlassen können.“
Der Walzer war zu Ende, und Constance wurde von ihrem Tanzpartner zu Francesca zurückgebracht, die von Sir Lucien und dem Duke flankiert wurde.
Francesca machte Rochford, der Constance ungewohnt interessiert musterte, mit ihrer Schutzbefohlenen bekannt. Zu Francescas Erstaunen bat er Constance mit der Andeutung einer Verneigung um den nächsten Tanz. Constance bekam große runde Augen vor Schreck, ihr Blick flog zu Francesca und wieder zu Rochford zurück.
„Ich … ähm … ich fürchte, diesen Tanz habe ich bereits vergeben, Euer Gnaden“, sagte sie und schien eher erleichtert darüber zu sein.
„Aha, verstehe.“ Er deutete mit dem Kopf in Richtung eines sich nähernden Herrn. „An Micklesham?“, fragte er.
Constance stutzte. „Wie bitte?“ Sie schaute sich um. „O ja, richtig. Mr. Micklesham.“
Rochford begrüßte den Ankömmling mit einem schmallippigen Lächeln. „Ach, Micklesham. Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich Miss Woodley zum nächsten Tanz entführe, nicht wahr?“
Micklesham, ein untersetzter, zur Fülle neigender junger Mann mit sorgsam frisierten rötlichen Locken und einem sommersprossigen Gesicht, geriet völlig außer Fassung, als er vom Duke angesprochen wurde. „Oh … ähm … Aber ja … selbstverständlich.“ Er verneigte sich tief. „Mit Vergnügen … das heißt … ich meine … Verzeihung, Miss Woodley“, stammelte er und sah Constance hilflos an.
„Fein. Miss Woodley, wollen wir?“ Rochford bot Constance den Arm, die schüchtern lächelte und ihre Hand auf seinen Ärmel legte.
Francesca schaute dem Paar auf dem Weg zum Tanzparkett nach.
„Was zum Teufel hat er vor?“, murmelte sie.
„Vielleicht will er das scheue Vögelchen noch mehr einschüchtern“, schlug Sir Lucien vor.
„Nein, Rochford würde nicht versuchen, meine Pläne zu vereiteln“, meinte Francesca. „Es wäre unter seiner Würde, den Lauf der Dinge zu seinen Gunsten zu beeinflussen.“
Sie beobachtete, wie der Duke eine Hand auf Constances schmale Taille legte, sie leicht an sich zog und anfing, sich mit ihr zu den beschwingten Klängen eines Walzers zu drehen. Dabei schenkte er der jungen Frau ein charmantes Lächeln, und Francesca verspürte einen Stich im Herzen.
„Der Teufel soll ihn holen“, murmelte sie und wandte sich ab.
Sir Lucien bedachte sie mit einem kritischen Blick. „Aber was hat er dann vor?“
„Vermutlich will er mich nur ärgern“, erwiderte Francesca gereizt.
„Anscheinend ist ihm das bereits gelungen.“
„Sei endlich still, Lucien!“, rief Francesca missmutig. „Bitte mich lieber um diesen Tanz.“
„Mit Vergnügen, meine Liebe“,erklärte er mit einer galanten Verneigung.
6. KAPITEL
Constance spürte, wie ihr ein Schweißtropfen in den Nacken rann. Nie im Leben hätte sie erwartet, einen Duke kennenzulernen, geschweige denn mit ihm zu tanzen.
Zugegeben, Lord Leighton würde eines Tages ein Earl sein, aber seine legeren Umgangsformen, sein ansteckendes Lächeln und sein lockerer Umgangston hatten sie seine Ahnentafel und seinen Rang rasch vergessen lassen. Aber Rochford verkörperte die Würde des Dukes vom Scheitel bis zur Sohle. Sein Auftreten war unnahbar und seine Haltung aufrecht und steif. Er strahlte eine Art Selbstbewusstsein aus, das seiner aristokratischen Abstammung und Erziehung Rechnung trug. Seine markanten Gesichtszüge wirkten ähnlich einschüchternd wie seine Haltung – hohe Wangenknochen, dunkle buschige Brauen, unter denen er aus tief liegenden schwarzen Augen die Welt wachsam betrachtete. Alles in allem war er kein Mann, in dessen Nähe man sich sonderlich wohlfühlen konnte, dachte Constance.
Nein, sie fühlte sich in seiner Gegenwart keineswegs wohl. Er sagte eine Weile gar nichts, und darüber war sie eigentlich ganz froh, da sie vollauf damit beschäftigt war, sich auf die Tanzschritte zu konzentrieren. Es wäre weitaus peinlicher, mit dem Duke of Rochford aus dem Takt zu geraten oder eine falsche Bewegung zu machen, als mit jedem anderen Tanzpartner.
Ihn schien das Schweigen keineswegs zu stören. Vermutlich war er sich seiner abweisenden Wirkung auf andere bewusst, und er machte keinen Versuch, die Situation etwas aufzulockern.
„Wie ich sehe, hat Lady Haughston Sie unter ihre
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