Die Un-Heilige Schrift
Vorwort
Maria Magdalena war mit Jesus verheiratet; Maria Magdalena war nie mit Jesus verheiratet. Sie gebar ihm einen Sohn/eine Tochter/mehrere Kinder. Oder auch nicht.
Biblische Geschichten sind Bestseller – länger, als es die Bibel selbst gibt. Die Theorien um die Gefährtin Jesu sind momentan in aller Munde, aber auch Stichworte wie Qumran, die Schriftrollen vom Toten Meer, oder die gnostischen Evangelien von Nag Hammadi erwecken unsere Neugier.
Die Gemeinsamkeit dieser Themen hat eine Bezeichnung: Apokryphen – die „Bibel“ außerhalb der Bibel.
Oder vielmehr: die Bibeln außerhalb der Bibeln. Denn wie es eine Vielzahl von christlichen Bibeln gibt, existieren auch Unmengen außerbiblischer Schriften. Sie sind Spiegelbilder von Diskussionen, die vor Jahrhunderten geführt wurden und noch immer nicht beendet sind. Sie sind die Zeugen einer christlichen Vergangenheit, die fast 2000 Jahre später mit ihren Aussagen für gewaltigen Aufruhr sorgen, die Fragen beantworten und neue Fragen aufwerfen.
Dieses Buch begibt sich auf eine Spurensuche: Wie entstand die Bibel, wie wir sie kennen? Welche Schriften enthält sie – und was sagt uns das über die Redakteure der „Heiligen Schrift“ – sprich die Kirchenväter? Danach wird ein Streifzug durch die Welt der Apokryphen unternommen, wobei neben den bereits erwähnten Themen z. B. Judit eine Rolle spielt, die Mata Hari der biblischen Antike, die Hintergründe eines „Sakrilegs“ aufgedeckt werden und Henoch, der Gerechte, einem breiteren Publikum vorgestellt wird.
Wussten Sie, dass vom ganzen Marienkult inklusive der Feiertage Mariä Himmelfahrt und Mariä Empfängnis so gut wie nichts in der Bibel steht? Woher kommen all diese Rituale dann?
Wussten Sie, dass Ochs und Esel sich erst rund 1000 Jahre nach der Geburt von Jesus an seine Krippe stellten?
Wussten Sie, dass das Christentum durch Jahrhunderte eine geheimnisvolle spirituelle Gemeinschaft war, in der Frauen eine wichtigere Rolle als Männer spielten?
Jedes der in diesem Vorwort angesprochenen Themen wurde bereits herangezogen, um jeweils komplette eigene Bücher damit zu füllen; hier wurde deshalb versucht, einen kurzweiligen Überblick zu geben, der dazu beiträgt, die größeren Zusammenhänge erkennbarer zu machen.
Er wird hoffentlich so gerne gelesen, wie er geschrieben wurde.
Helmuth Santler
Bibliothek in einem Band
Das Buch der Bücher – die Bibel. Diese sprichwörtliche Einschätzung, mit der die Bedeutung der für die Christenheit heiligen Schrift gemeint ist, kann auch buchstäblich verstanden werden: Die Bibel ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Handbibliothek – eine Büchersammlung in einem Band.
Wie in jeder Bibliothek ist die Sammlung der Schriften nicht zufällig – der zur Verfügung stehende Raum ist immer begrenzt, also sind Kriterien für die Auswahl erforderlich. Was uns heute als „Bibel“ vorliegt, die Schriften also, die es „hinein“geschafft haben, stellt den biblischen Kanon dar. Je nach christlicher Konfession unterscheidet sich der Kanon – so enthält z. B. die evangelische Bibel sechs Schriften nicht, die nach katholischer und orthodoxer Auffassung einfach Teil des Alten Testaments sind, weil Martin Luther sie als „Bücher, so der Heiligen Schrift nicht gleich gehalten, und doch nützlich und gut zu lesen“ einstufte.
„Buch der Bücher“ lässt sich als Erhebung über alle anderen verstehen – oder ganz wörtlich als Büchersammlung.
Die Kanonisierung der Bibel der größten christlichen Konfession, der römisch-katholischen (d. h. nach dem Vorbild der effizienten römischen Verwaltung organisiert und organisierend und mit universellem [katholischem] Anspruch), fand im 4. Jahrhundert nach Christus ihren Abschluss. Seither hat sich an den aus katholischer Sicht biblischen Texten nichts mehr geändert. Wer es damals nicht in diese Bibel schaffte, hatte seither schon gar keine Chance mehr.
Was keinesfalls daran liegt, dass es niemand versucht hätte: Von den Zeiten urchristlicher spiritueller Weisheitssuche bis zur Verstaatlichung der Institution römisch-katholische Kirche im 4. Jh. n. Chr. entstanden zahlreiche Texte, die für sich in Anspruch nahmen, christlich-religiös zu sein. Selbst als der katholische Bibelkanon beschlossene Sache war, wurden weiterhin Geschichten geschrieben, die Hintergrundstorys zu den Protagonisten waren oder sich der vielen Lücken und Ungereimtheiten in der biblischen Erzählung annahmen – was geschah mit
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