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Ein Lotterie-Loos

Ein Lotterie-Loos

Titel: Ein Lotterie-Loos
Autoren: Jules Verne
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von dem landesüblichen stärkenden Aquavit vorgesetzt, der so vortrefflich gegen die Schädlichkeit der Abendnebel schützt. Jener ließ keinen Tropfen in der ihm dargereichten kleinen Tasse.
    »
God aften!
sagte er dann.
    – God aften
, mein Junge!«
    So lautet das norwegische Gute Nacht, das hier ganz einfach, ohne die geringste Neigung des Kopfes ausgewechselt wurde. Und der junge Bursche zog seines Weges, unbekümmert um die lange Strecke, die er noch zurückzulegen hatte. Bald schwand er unter den Bäumen des Fußsteiges, der den murmelnden Fluß begleitet, aus den Augen.
    Hulda betrachtete inzwischen noch immer den Brief Oles, beeilte sich aber gar nicht, ihn zu öffnen. Doch man bedenke nur! Diese gebrechliche Papierhülle hatte den ganzen Ocean überschreiten müssen, um zu ihr zu gelangen, das ganze große Weltmeer, in dem sich die Küsten des westlichen Norwegens verlieren. Sie prüfte die verschiedenen Poststempel. Am 15. März aufgegeben, kam dieser Brief doch erst am 15. April in Dal an; Ole hatte ihn also schon vor einem Monate geschrieben. Was hatte sich nicht Alles während dieses Monats ereignen können in der Nähe der Gestade von New-Found-Land! – wie die Engländer statt der französischen Bezeichnung Terre-Nenve sagen. War jetzt nicht noch Winter, die gefährliche Zeit der Tag-und Nachtgleiche? Und jene Fischgründe gehören zu den gefährlichsten der Welt, da hier sehr häufig furchtbare Windstöße vorkommen, welche der Pol über die Ebenen Nordamerikas hinabsendet. O, es ist ein mühseliges und gefährliches Leben, das des Hochseefischers, welches auch Ole führte. Und den reichen Gewinn davon brachte er nicht einmal für sich selbst heim oder für die Verlobte, die er bei seiner Rückkehr heiraten wollte. Armer Ole! Was schrieb er wohl in diesem Briefe? Gewiß, daß er Hulda noch immer liebte, wie Hulda ihn stets lieben würde, daß ihre Gedanken sich trotz der Entfernung begegneten, und daß er den Tag seiner Rückkehr nach Dal herbeisehne.
    Ja, das mußte er sagen, Hulda wußte es gewiß. Vielleicht schrieb er auch noch, daß seine Heimkehr nahe bevorstehe, daß diese Fischereicampagne, welche die Fischer von Bergen ihrer Heimat so sehr weit entführt, endlich zu Ende gehen sollte. Vielleicht berichtete ihr Ole auch, daß der »Viken« nur noch seine Ladung verstaue und sich zum Lichten der Anker rüste, daß die letzten Tage des April nicht vergehen würden, ohne Beide wieder in dem glücklichen Hause des Vestfjorddals vereinigt zu sehen? Vielleicht meldete er ihr gar, daß schon der Tag bestimmt werden könne, an dem der Pfarrer von Moel hinüberkommen solle, um sie in der kleinen hölzernen Kapelle zu vereinigen, deren Glockenthurm aus einer dichten Baumgruppe, einige hundert Schritte von der Herberge der Frau Hansen, hervorlugte?
    Um das zu erfahren, hätte es ja genügt, das Siegel des Umschlages zu lösen, den Brief Oles herauszuziehen und diesen unter Thränen des Schmerzes oder der Freude, die sein Inhalt den Augen Huldas eben entlocken mochte, zu lesen. Und ohne Zweifel hätte ein ungeduldigeres Kind des Südens, ja auch ein Mädchen aus Dalarne, aus Dänemark oder Holland schon längst gewußt, was die junge Norwegerin jetzt noch nicht wußte. Aber Hulda träumte eben, und Träume enden bekanntlich nicht eher, als bis es Gott gefällt sie abzubrechen. Und wie oft bedauert man sie, da die Wirklichkeit nicht selten gar so enttäuschend ist!
    »Mein Kind, begann da Frau Hansen, ist denn der Brief, den Dein Bruder Dir sendet, wirklich von Ole?
    – Ja, ich erkenne die Handschrift.
    – Und willst Du mit dem Lesen desselben etwa bis morgen warten?«
    Hulda betrachtete zum letzten Male den Umschlag. Nachdem sie denselben dann ohne besondere Eile geöffnet, entnahm sie daraus einen sorgfältig schön geschriebenen Brief und las wie folgt:
     
    Saint-Pierre-Miquelon, 15. März 1862.
     
    » Meine liebste Hulda!
     
    Du wirst mit Vergnügen hören, daß wir einen glücklichen Fischfang gehabt haben und denselben binnen wenigen Tagen schließen. Ja, endlich nahen wir uns dem Ende dieser Campagne! Wie werde ich nach einjähriger Abwesenheit glücklich sein, nach Dal zurückzukehren und die einzige Familie wiederzufinden, die mir noch geblieben und welche die Deinige ist.
    Mein Gewinnantheil ist recht beträchtlich und wird für uns zur ersten Einrichtung ausreichen. Die Herren Gebrüder Help Söhne, unsere Rheder in Bergen, sind schon benachrichtigt, daß der »Viken« voraussichtlich
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