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Ein Mann will nach oben

Ein Mann will nach oben

Titel: Ein Mann will nach oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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das Leben noch blühte. Jetzt dachte er frei und schamlos an Fräulein Ilse Gollmer, er erinnerte sich ihrerLocken, ihres Lachens. Er war richtig verliebt gewesen, ein einziges Mal in seinem Leben richtig verliebt. Man konnte sich das ruhig eingestehen, wenn man auch ein verheirateter Mann war … Soweit war man jetzt. Ziemlich in Unordnung und verbummelt.
    Aber gottlob kam dann immer wieder ein Bote in die Eichendorffstraße, oder die Post brachte einen Brief, in dem ein Zettel lag, auf dem nie mehr stand als ein Datum, eine Stunde, ein Ort. Dann begann das andere Leben, das freie, sorgenlose, unbekümmerte Leben auf den endlosen Landstraßen. Der Lastzug donnerte, der Wind pfiff und heulte, sie fuhren und fuhren. Sie lagen in Straßengräben und aßen ihre Stullen, sie sprangen in Seen und nahmen ein eiliges Bad, sie schaufelten sich aus Schnee heraus, sie schwatzten miteinander, lachten, tranken auch mal, sie küßten rasch und hitzig ein Gutsmädel in einem dunklen Gang, und dann waren sie schon wieder weiter. Sie waren Soldaten, sie kannten kein Gestern und Morgen, sie lebten nur im Heute. Der Befehl war über ihnen, dem unbedingt gefolgt wurde, so machten sie aus dem Heute, was sich daraus nur machen ließ.
    Selten nur noch fuhr Dumala mit Karl Siebrecht. Der war nun schon ein alter, erfahrener Waffenschmuggler, der sich allein zu helfen wußte. Er erlebte viele Beifahrer, sie kamen und gingen, er hörte Namen, die kaum ihre Namen waren, er vergaß sie gleich wieder. Aber sie waren Kameraden, sie halfen einander, es war Verlaß auf sie. Weiß der Himmel, was sie daheim für ein Leben führten, mit Frau und Kindern oder auch allein, sie sprachen nie davon. Die Landstraße hatte sie zusammengeführt, wenn sie schwatzen wollten, so schwatzten sie von ihr, von Wegeverhältnissen, von Städten, die sie gesehen hatten, von Kirchen, in die sie für ein paar Minuten gegangen waren, von Wirtschaften, in denen es etwas Gutes zu essen gab. Aber meist redeten sie nicht. Meistens saßen sie stumm nebeneinander, jeder in seine eigenen Gedanken verloren, und vielgestaltig brauste das Land an ihnen vorbei. Karl Siebrecht lernte das Land lieben, und er glaubte beinahe, die Stadt Berlinzu hassen, diese Stadt, die er einmal hatte erobern wollen und die dann für ihn zur Heimat geworden war. Jetzt war er froh, wenn er dieser Stadt entrinnen konnte. Berlin – das hieß nun Zerfall, Gärung, das hieß Suff und Hurerei, ewiger Protest, endloser Streit, Umzüge dafür und Umzüge dagegen. Vor allem aber hieß Berlin seine schweigsame, mißlungene Ehe …
    Und dann kam er wieder nach Berlin und saß in der Taxe, zäh zogen sich seine Tage hin, aber schlimmer noch waren die dreizehn oder vierzehn Stunden, die alltäglich in der Eichendorffstraße hinzubringen waren, auch dort nicht daheim, auch in der Ehe nicht zu Haus. Und endlich kam dann wieder ein Zettel von Dumala, wurde er in die Weite, in die Freiheit gerufen.
    Zu jener Zeit war er schon ein recht bekannter Lastzugführer geworden, längst konnte er nicht mehr jede Strecke fahren. Er besaß nun eine ganze Menge von Führerscheinen, lautend auf Namen wie Siewers, Siemsen, Siebert, Siebold – aber viele Gendarmen kannten sein Gesicht, er mußte sehr vorsichtig in der Benutzung dieser Ausweise sein. Er war jetzt ein Mann, der stark in Verdacht stand, nur hatte man ihm noch immer nichts nachweisen können. Zwei-oder dreimal hatten sie ihn auch schon festgehalten, aber sie hatten ihn wieder laufen lassen müssen. Es gab viele Gendarmen, die wollten ihn gar nicht kennen, sie machten ihre Kontrollen obenhin, sie sahen ihm dabei nicht einmal ins Gesicht: »In Ordnung! Weiterfahren!« Aber es gab andere, die wollten ihn durchaus fangen. Sie stellen ihm Fallen, sie telefonierten die Strecke voraus, die er kommen mußte, sie machten ihre Kollegen scharf. Doch er war kaltblütig und wachsam, und vor allem: er war kühn. Zu jener Zeit schien ihm das Leben kein Ding, auf das man sehr sorgsam hätte aufpassen müssen.
    Einmal hatten sie ihn beinahe gefaßt. Sie hatten dem Dumala und ihm eine Falle gestellt, beide Wagen waren voller Waffen, und kurz vor ihrem Ziel wurden sie angehalten. Diesmal gab es kein Vertuschen – ein ganzer Trupp von Gendarmen stand da, und zwischen ihnen die lorbeergeschmücktenKäppis französischer Offiziere. Sie umringten sofort den Lastzug, und der kleine, gelbgesichtige französische Kapitän kletterte auf den vorderen Wagen, machte sich an den Kisten zu

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