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Ein Mann will nach oben

Ein Mann will nach oben

Titel: Ein Mann will nach oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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auch Riekes Schneiderei half nichts, sie kamen zurück. Ohne Kalli Flau wäre kein Durchkommen gewesen. Der schaffte es noch immer mit seinen Nachtfuhren, er war bedenkenloser als Karl Siebrecht. Er nahm das Leben wie es war, er wütete nicht dagegen an, er war auch nicht voller Skrupel wie sein Freund.
    Aber auch mit Kalli Flaus Hilfe wurde es knapper und immer knapper, von einem sicheren Auskommen konnte schon längst nicht mehr die Rede sein.
    Was für eine düstere, gedrückte Stimmung herrschte in der kleinen Wohnung, wo jedes Brikett in den Ofen und jede Scheibe Brot in den Mund gezählt wurde. O nein, es gab keinen Streit zwischen den dreien! Vielleicht gab es mal ein rasches gereiztes Wort, aber schon war es vorüber. Sie lächelten sich schwach und stumm an und gingen aneinander vorbei, wie Schatten waren sie. Am liebsten hätte jedes, wenigstens von den beiden Eheleuten, in einem Zimmer für sich gesessen, aber das ging nicht. Sie mußten alle eng aufeinander hocken, nur eine Stube konnte geheizt werden. Dann kam die lange Nacht, wo die beiden in den Betten nebeneinander lagen, und jedes lauschte im Dunkeln bewegungslos auf die Atemzüge des anderen, ob es denn noch nicht eingeschlafen sei, bloß um sich unbeobachtet ein wenig strecken zu können, um endlich allein sein zu können. Jawohl, die rot verhängte Ampel und die wollüstig hingegebene Göttin hatteKarl Siebrecht abwenden können, aber nicht hatte er abwenden können das Stummwerden in der Ehe, das Sich-Entfremden in der Ehe, das Schweigen in der Ehe. Diese Nächte waren noch schlimmer zu ertragen als die Tage, und so fuhr Karl Siebrecht denn auch wieder in der Nacht. Er sah, wie mit dem Fallen der Mark der Taumel und die Sucht nach Rausch stiegen, er sah sie am frühen Abend einsteigen in sein Taxi, alle Taschen geschwollen von Paketen mit Scheinen, und er fuhr sie gegen Morgen zurück, ausgebeutelt, leer – und dann stritten sie sich mit ihm hartnäckig um das Fahrgeld.
    Viele, viele Fahrgäste, männlich und weiblich … Sie glitten an ihm vorbei, sie gingen durch die Schwingtür einer Bar, sie eilten in eine Hotelhalle, er sah ihnen nach, und schon hatte er sie vergessen. Aber einen Gast fuhr er in dieser unheilvoll düsteren Zeit, den vergaß er nicht, so kurz seine Fahrt auch war, die lang hatte sein sollen …
    Er hatte in den Zeitungen von dem Zusammenbruch eines großen Bauunternehmens gelesen, sein Leiter war flüchtig, zuerst war sein Name nur mit einem Buchstaben, dem Buchstaben K, bezeichnet. Aber dann las er nach seiner Gewohnheit die Steckbriefe an den Anschlagsäulen und las, daß der Bauunternehmer Kalubrigkeit gesucht wurde. Er las es, und er grinste nur, als er an diesen Herrn zurückdachte, für den er vor zwölf Jahren Koks getragen, auf dessen Zeichenstube er gesessen hatte … Er grinste, aber es erschütterte ihn nicht sehr. So viele Größen waren seitdem gefallen, echte und falsche – warum nicht auch Herr Kalubrigkeit? Nie hatte man erwarten können, daß die Größe dieses Mannes Bestand hatte. Ein wenig länger dachte Siebrecht schon an den Herrn Bodo von Senden – ob er wohl in Mitleidenschaft gezogen war? Aber auch an Herrn von Senden dachte er nicht sehr lange, und auch nicht mit großer Teilnahme. Der war genau wie der Herr Gollmer geflohen, der eine saß auf einem Gut in Bayern, der andere reiste nun schon Jahre in der Welt herum. Sie sorgten für sich allein, diese reichen Herrn, man mußte sich nicht auch um sie sorgen!
    Aber nun begab es sich, daß Karl Siebrecht in einer dernächsten Nächte eine junge Dame in den Westen Berlins fahren mußte. Es war noch eine sehr junge Dame, vielleicht war sie zum ersten Mal in ein Nachtlokal gegangen, und es war ein bißchen zuviel geworden für sie: der Alkohol oder das Tanzen oder was sie erlebt hatte, wahrscheinlich alle drei Dinge zusammen. Wo ihr Kavalier, der sicher einmal vorhanden gewesen war, steckte, war nicht zu ermitteln: das blutjunge Ding war in seine Droschke mehr gefallen als gestiegen, hatte eine Adresse gemurmelt und war sofort eingeschlafen.
    Eine stille, solide Straße im guten Westen war das Ziel der Fahrt. Aber die junge Dame war kaum zu ermuntern, ihr Kopf war eher verwirrter als klarer geworden. Sie schien den Chauffeur für jemand anders zu halten, sie sagte: »Ach, laß mich! Laß mich doch jetzt endlich in Ruhe! Du bist ja so gemein! Faß mich nicht mehr an, bitte nicht!« Karl Siebrecht sah zweifelnd an den dunklen Häusern hoch. Mitternacht

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