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Ein Mann will nach oben

Ein Mann will nach oben

Titel: Ein Mann will nach oben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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ging zur Tür.
    »Aber in zwei Minuten bist du wieder hier!« befahl die nicht ganz so ahnungslose Mutter.
    »Jawohl, Mama!«
    »Ach nein, laß mich lieber selbst gehen!«
    Doch war Erika schon aus der Stube. Leise und eilig lief sie die Treppen hinunter, trat in den winderfüllten Garten, schwang sich, ihre langen Röcke rücksichtslos raffend, über das Mäuerchen, das die beiden Gärten trennte, und lief durch den Siebrechtschen auf den Schuppen zu, in dem sowohl spärliches Gartengerät verwahrt wurde, als auch den Hühnern mit Stangen und Nestern eine Stätte des Verweilens bereitet war.
    Nicht nur den Hühnern. Denn als sie in das halbe Dunkel hineinfragte »Karl?«, antwortete er sofort: »Ria!«, und der Freund zog sie an der Hand zu einer Karre. »Setz dich, Ria! Ich habe direkt zu Gott gebetet, um einen Moment Sonne! Ich glaube ja sonst nicht an Gott, aber diesmal –«
    »Diesmal hast du Vater schön wütend gemacht! Ich soll dir sagen …«
    »Laß ihn! Es war das letzte Mal, Ria!« Mit einer gewissen Feierlichkeit wiederholte der Junge: »Es war das letzte Mal. Ich gehe fort, Ria! Ganz fort!«
    »Du, Karl? Warum denn – –? Wer soll mir dann meine Schularbeiten machen?! Ich bleibe bestimmt zu Ostern kleben! Bleib doch hier, Karl, bitte!«
    »Ich muß fort, Ria! Ich gehe nach Berlin!«
    »Ach, Karl, warum denn? Hier ist es doch auch ganz schön – manchmal –!«
    »Ich will was werden, Ria!«
    »Und wenn ich dich bitte, Karl?! Bleib hier, Karl! Ich bitte dich!«
    »Es geht nicht, Ria, es muß sein!«
    Einen Augenblick schwieg sie, auf ihrer Karre hockend. Er, vor ihr stehend, zu ihr niedergebeugt, sah gespannt in ihrdämmriges, doch helles Gesicht. Dann stampfte sie mit dem Fuß auf. »Also geh, geh doch in dein olles Berlin!« rief sie zornig. »Warum gehst du denn nicht? Ich bin froh, wenn du gehst! Du bist genauso ein ekliger Junge wie alle andern!«
    »Aber, Ria!« rief er ganz bestürzt. »Sei doch nicht so! Versteh doch, daß ich fort muß! Hier kann ich nie etwas werden!«
    »Ich muß gar nichts verstehen! Du willst wohl bloß weg, weil du uns alle über hast, mich auch – und ich habe gedacht, du möchtest mich ein bißchen gern …« Bei den letzten Worten versagte ihr fast die Stimme. Sie sprang von ihrer Karre auf und zog sich tiefer in das Dunkel des Schuppens zurück, damit er nicht ihre Tränen sehen sollte. Sie scheuchte eine Henne von ihrem Nest auf, die mit lautem Protest gackernd aus der Tür flüchtete.
    Karl Siebrecht hatte ihre Hand gefaßt und streichelte sie ungeschickt. »Ach, Ria, Ria«, bat er. »Nimm es doch nicht so! Ich muß doch wirklich fort. Hier sollte ich Hausdiener im Hotel Hohenzollern werden.«
    »Das tust du nicht, Karl, unter keinen Umständen!«
    »Und ich will doch viel werden, und dann komme ich wieder.«
    »Dauert es lange, bis zu wiederkommst?«
    »Es dauert wohl seine Zeit, Ria – ziemlich lange!«
    »Und dann, Karl –?«
    »Dann frage ich dich vielleicht etwas, Ria …!«
    Pause. Dann sagte das Mädchen leise: »Was willst du mich denn fragen, Karl?«
    Er wagte es nicht. »Es ist noch so lange hin, Ria! Erst muß ich etwas geworden sein.«
    Und sie, ganz leise flüsternd: »Frag es doch schon jetzt, Karl. Bitte!«
    Er zögerte. Dann zog er vorsichtig etwas aus der Innentasche seines Jacketts. »Weißt du, was das ist?«
    »Was soll das sein?«
    »Das ist eine von den Blumen, Ria«, sagte er feierlich, »diedu in Vaters Grab geworfen hast. Ich nehme sie mit nach Berlin und werde sie immer bei mir tragen!«
    Der Wind jagte mit Schnee vermischten Regen zur Türöffnung herein. Sie drängte sich enger an ihn, sie flüsterte angstvoll: »Das ist doch eine Totenblume, Karl!«
    »Aber ich habe sie von dir, Ria, sie bringt mir bestimmt Glück! Und hier habe ich einen kleinen Ring von meiner Mutter – willst du den nicht tragen, Ria, damit du immer an mich denkst?!«
    »Ich darf doch keinen Ring von dir tragen. Vater würde es nie erlauben!«
    »Du kannst ihn tragen, wo dein Vater ihn nicht sieht. Ich trage deine Blume auch auf dem Herzen!«
    Sie schwiegen eine Weile. Dann flüsterte sie: »Ich danke dir für den Ring, Karl. Ich will ihn immer tragen.«
    Und wieder Schweigen. Nahe sahen sie sich in die blassen Gesichter, ihre Herzen klopften sehr. Nach einer Weile flüsterte Siebrecht: »Möchtest du mir wohl einen Kuß zum Abschied geben, Ria?«
    Sie sah ihn an. Dann hob sie langsam die Arme und legte sie sachte um seinen Hals. »Ja …« flüsterte

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