Ein Mord von bessrer Qualität: Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross (German Edition)
brachte mich zum Husten.
Ich musste die Hälfte erreicht haben, soweit ich es beurteilen kann, als mir bewusst wurde, dass ich nicht länger allein war. Schritte kamen mir entgegen. Der Nebel spielt dem Gehör manchen Streich, deswegen blieb ich stehen, für den Fall, dass ich nichts weiter gehört hatte, als mein eigenes vorsichtiges Schreiten. Doch es waren schnelle Schritte – diese andere Person rannte fast, daran bestand kein Zweifel. Diese andere Person rannte ungeachtet der schlechten Sicht und fürchtete sich offensichtlich nicht vor einer Kollision.
Mit einem Schlag war der Polizeibeamte in mir hellwach. Es ist nicht nur Furchtlosigkeit, die jemanden dazu bringt, den Hals zu riskieren. Manchmal ist es das genaue Gegenteil. Dieser anderen Person war es egal, wohin sie rannte oder ob ein Hindernis vor ihr lag. Sie lief vor etwas oder jemandem davon, so viel schien offensichtlich.
Ich wartete, wo ich war, spitzte die Ohren, lauschte. Ich schätzte, dass es sich um eine Frau handelte. Die Schritte waren leicht, nicht das massive Stampfen schwerer Männerstiefel. Tapp-tapp-tapp näherte sich das Trippeln immer mehr und schien mir so etwas wie Verzweiflung zu signalisieren. Eine Frau, allein, verängstigt, in heller Flucht über die Brücke hinweg und durch den dichten gelblichen Nebel.
»Verdammter Nebel!«, murmelte ich in meinen Schal. Ich war orientierungslos. Ich meinte sie direkt vor mir zu hören, auf der gleichen Seite der Brücke, doch sie konnte genauso gut auf der rechten Seite laufen oder sogar mitten auf der Fahrbahn. Ich bewegte mich meinerseits ein wenig mehr in die Brückenmitte. Im unwahrscheinlichen Fall, dass ein Gespann vorbeigerattert kam, konnte ich leicht zu einer Seite ausweichen. Andererseits konnte ich in dieser zentralen Position genau erkennen, ob sie rechts oder links vorbeikam, und sie – mit ein wenig Glück – abfangen. Schließlich war die Brücke nicht besonders breit. Ich überlegte kurz, ob ich sie anrufen und wissen lassen sollte, dass Hilfe nah war. Doch da sie offensichtlich bereits so verängstigt war, dass sie Leib und Leben in ihrer heillosen Flucht riskierte, konnte das unerwartete Geräusch einer fremden Stimme weiter vorn ihre Panik nur noch stärker schüren.
Biff!
Bevor ich mich’s versah, materialisierte auf Armeslänge vor mir wie aus dem Nichts eine dünne Gestalt. Ich fand gerade noch Zeit zu bemerken, dass sie einen Rock trug und dass ihr Kopf mit einer Art Hahnenkamm gekrönt war, bevor die Person im vollen Lauf gegen mich prallte. Die Kollision raubte mir den Atem. Die Welt schien auf dem Kopf zu stehen. Ich stolperte rückwärts und wäre beinahe gestürzt und hielt nur mit äußerster Mühe mein Gleichgewicht. Durch reinstes Glück erwischte ich mit rudernder Hand ein Büschel leichtes Gewebe – ein Frauenkleid –, und als ich zupackte, veranlasste mich ein entsetzter Schrei dicht neben meinem rechten Ohr um ein Haar, das Kleid wieder loszulassen. Glücklicherweise war ich geistesgegenwärtig genug, dies nicht zu tun.
»Madam!«, rief ich der Unbekannten zu, von der immer noch nichts außer einer Silhouette zu erkennen war. »Ich bin Polizeibeamter. Haben Sie keine Angst!«
Sie stieß einen weiteren schrillen Schrei aus und trommelte mit geballten Fäusten gegen meine Brust und meinen Kopf. Durch die Gerüche des Nebels stieg mir ein weiterer in die Nase: der nach billigem Parfum.
»Lassen Sie mich auf der Stelle los!«, kreischte sie. »Ich habe nichts Unrechtes getan!«
»Ich will Ihnen nichts Böses«, rief ich zurück, während wir miteinander rangelten.
Sie begriff, dass ich sie nicht loslassen würde. Es war mir sogar gelungen, ihren Arm zu packen. Unvermittelt stellte sie ihre Gegenwehr ein und flehte mit leiserer, mitleiderregender Stimme: »Tun Sie mir nichts!«
»Ich tue Ihnen doch gar nichts!« Ich hätte sie am liebsten angebrüllt, doch das hätte nur einen weiteren Anfall von Panik hervorgerufen, also bemühte ich mich nach Kräften, wie ein vernünftiges menschliches Wesen zu klingen. »Ich sagte Ihnen doch bereits, ich bin Polizeibeamter.«
Ihr freier Arm kam aus dem Dunst, und eine Hand tippte auf eine mir von früher noch recht vertraute Weise suchend über die Brust.
»Sie sind kein Constable!«, protestierte sie anklagend. »Sie tragen keine Uniform. Wo sind Ihre Messingknöpfe?«
Ich bemerkte, dass der eigenartige Kamm auf ihrem Kopf aus einer Art Hut bestand, der mit daran angehefteten Seidenblumen oder Federn
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