Ein Noah von heute
geschossen; mit zwei oder drei Schritten verdoppelten sie fast ihre Geschwindigkeit. Sehr bald waren sie nicht mehr zu sehen; die Schreie der Jäger und die Hufschläge verebbten in der Ferne.
Ich wußte, daß die Gauchos die Vögel schließlich einholen, umzingeln und zu mir zurücktreiben würden, und tatsächlich genoß ich eine Viertelstunde später wieder den Anblick der rennenden Nandus, deren Füße auf den harten Boden klopften; dicht hinter ihnen galoppierten die Jäger mit schrillem Geschrei, das sich mit dem zischenden Geschwirr der Boleadoras vermischte.
Die Vögel rannten immer noch in einem Rudel, in grober V-Formation ausgefächert. Doch als sie etwa hundert Meter entfernt waren, schwenkte ein Nandu ab und lief geradenwegs auf den Karren zu, wo ich mit der Kamera stand. Ein Gaucho nahm die Verfolgung auf, um ihn zur Schar zurückzutreiben. Immer näher trieb er sein Pferd zu dem flüchtigen Vogel, und je näher er kam, desto unruhiger wurde der Nandu, ja, er sorgte sich so sehr wegen des Verfolgers, daß er den Karren, mich selbst und die Filmkamera nicht bemerkte. Ich guckte durch den Sucher und begann mir nun selbst Sorgen zu machen, denn anscheinend beachtete er mich noch immer nicht. Es war eine so wundervolle Szene, daß ich mit dem Drehen nicht aufhören mochte; aber gleichzeitig spürte ich kein Verlangen, von einem mehrere hundert Pfund schweren Nandu breitseits getroffen zu werden, der mit einer Geschwindigkeit von dreißig Stundenkilometern dahergerast kam.
Im allerletzten Augenblick, als ich überzeugt war, daß der Nandu, die Kamera, das Stativ und ich in einem wirren Haufen auf dem Gras landen würden, gewahrte mich der Vogel. Er warf mir einen erschrockenen Blick zu, schwenkte geschickt herum und sauste im rechten Winkel weg.
Als ich später den Abstand maß, stellte ich fest, daß der gehetzte Vogel nur sechzig Zentimeter von der Kamera entfernt gewesen war. Aber diese Schwenkung ließ ihn den kurzen Vorsprung vor dem Gaucho verlieren. Die Boleadoras zischten durch die Luft, wickelten sich um die kräftigen Beine des Nandus, und flappend und strampelnd fiel er ins Gras. Im Nu saß der Gaucho ab, lief hin und packte die dreschenden Beine. Er mußte dabei sehr umsichtig Vorgehen und durfte den Vogel auf keinen Fall loslassen; denn ein einziger wohlgezielter Tritt der großen Füße hätte ihm den Bauch aufschlitzen können.
Nachdem ich Nahaufnahmen von unserer Beute gemacht hatte, wickelten wir dem Nandu die Boleadoras vom Hals und von den Beinen ab, worauf er einige Sekunden schlaff im Gras liegenblieb. Dann aber sprang er auf die Füße und trabte gemächlich ins Distelgebüsch, wo er sich zu seinen Gefährten gesellte.
Höchst zufrieden mit unserer Dreharbeit traten wir den Rückweg an, und da trafen wir auf ein Nandunest; es war nur eine leichte Bodenvertiefung, in der zehn große bläulichweiße Eier lagen. Sie waren noch warm, also konnte der Hahn, der bei den Nandus das Brüten besorgt, erst kurz zuvor das Nest verlassen haben, vielleicht weil er uns kommen hörte. Allerdings sind die Nandus während der Brutzeit gewöhnlich sehr hitzig und gefährlich.
Die Gauchos sagten mir, daß zwei oder drei Hennen ihre Eier ins selbe Nest legen können, so daß man unter Umständen in einem Nest zwanzig bis fünfundzwanzig Eier findet, die mehreren Müttern gehören. Der Nanduvater besorgt das ganze Brutgeschäft, so daß alle die Hennen nichts mehr zu tun haben, nachdem sie ihre Eier gelegt haben; denn von da an übernimmt der Hahn die Arbeit und sitzt auf den Eiern, bis die Küken schlüpfen, worauf die Mutter nun doch ihres Amtes waltet und sich der Erziehung widmet.
Sechzehntes Kapitel
Aguti, Krötenechse und allerlei Schlangen
Der Chaco ist eine ungeheuer weite Ebene, die sich vom Fluß Paraguay bis zum Fuß der Anden erstreckt. Sie ist ganz flach, fast so glatt wie ein Billardtisch; die eine Hälfte des Jahres wird sie von der heißen Sonne knochentrocken gebacken, in der anderen Hälfte infolge des Winterregens von dreißig Zentimeter tiefem Wasser überflutet. Da sie zwischen den Tropenwäldern Brasiliens und den Grassteppen Argentiniens liegt, ist es eine seltsame Gegend, nämlich eine Mischung von beidem. Hier gibt es große Grasfelder, auf denen Palmen oder Dornsträucher wachsen, behängt mit seltsamen Tropenblumen; zwischen den Palmen stehen andere Bäume, nicht unähnlich den europäischen, aber bedeckt mit langem Haarmoos, das sacht im Winde schaukelt. Wir hatten
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