Ein Ring aus Asche
übernatürliche Fähigkeiten«, sagte ich. »W ir rufen die Kräfte dieser Runen an, um unseren Zauber zu vervollständigen.«
Thais und ich legten uns gegenseitig die Hände auf die Schultern und schlossen die Augen.
»N ous voulons nous joindre toutes les deux«, sagte ich. Gemeinsam wiederholten wir den Satz zum zweiten und schließlich zum dritten Mal. Und genau dies war der Moment, als wir quer durch den Raum geschleudert wurden.
Kapitel 2
Thais
Ich stieß mit dem Kopf gegen die Wand und schrie auf. Nach einigen Momenten der Schockstarre setzte ich mich langsam auf und versuchte, dabei nicht zu stöhnen. Clio lag auf der anderen Seite des Raums zusammengekrümmt auf dem Boden. Ich stand auf und lief zu ihr. Da blinzelte sie schon und versuchte, sich hochzuhieven.
»W as zum Geier war das?«, fragte sie.
Ich kniete mich hin und legte meine Arme um sie. »Clio, b ist du okay? Also auf so etwas hast du mich nicht vorbereitet!«
Clios Augen waren weit aufgerissen. Sie rieb sich den Kopf an der Stelle, an der er gegen ein Bücherregal gekracht war. »W eil ich es nicht wusste!«, sagte sie. »I ch meine, hallo?! Wir sind aus dem Kreis herausgeschleudert worden! Soweit ich weiß, ist so etwas noch nie vorgekommen! Heilige Scheiße.«
»A ber was ist denn schiefgegangen?«, fragte ich.
»I ch hab nicht die leiseste Ahnung.« Clio erhob sich, wischte sich über den Hintern und rieb sich erneut den Kopf. »A ua. Das ist mir echt noch nie passiert.« Sie sah mich an, und ich konnte förmlich fühlen, wie überrascht sie immer noch war, dass wir uns so ähnlich sahen. Sie hatte längere Haare als ich, und unsere Muttermale saßen auf der jeweils anderen Wange, aber ansonsten gab es keinen Zweifel, dass wir aus ein und derselben Eizelle stammten. »V ielleicht liegt es an dieser Zwillingskräfte-Geschichte«, sagte sie und klang beinahe ehrfürchtig.
»G ott. Na kein Wunder, dass die alle so darüber ausflippen.« Ich merkte, dass ich zitterte, und warf einen Blick hinüber zu dem Kreis. Die Kerzen und der Weihrauch waren verloschen und die Salzlinie nicht mehr zu sehen. »A lso, sind wir jetzt verbunden, oder was?«
Wir sahen uns an, und ich versuchte zu erspüren, ob ich mich irgendwie anders fühlte.
»I ch bin nicht sicher«, sagte Clio. »I ch weiß nicht, ob der Zauber genug Zeit hatte, zu wirken.«
Während ich so dastand, merkte ich mit einem Mal, wie ich etwas von Clio wahrnahm. Ich konnte sie neben mir fühlen, wenn auch nicht im physischen Sinne. Es war eher, als würde ich eine Form, eine Gestalt neben mir ausmachen. Aber keinen Geist. Nicht mal etwas Menschliches. Doch es war Clio, definitiv. Ich fühlte ihre Verwirrung, ihre Aufregung. In mir selbst spürte ich Angst, doch die kam nicht von ihr.
»H ey, bist du das?«, fragte ich.
Clio lachte erstaunt und nickte. »I ch fühle dich auch. Es ist wie… Glibber. Wie eine Glibber-Thais, nur dass ich sie nicht sehen kann. Sehr cool.«
»T otal komisch«, sagte ich. »I ch frage mich, ob es auch noch funktioniert, wenn wir weiter voneinander entfernt sind.«
»I ch schätze, wir werden es herausfinden«, sagte sie grinsend.
7
Im Morgengrauen lief ich zu Axelles Wohnung zurück. Ich wusste immer noch nicht, wie Axelle Gauvin es geschafft hatte, mich in ihre Obhut zu bringen, nachdem mein Dad gestorben war. Durch einen Zauberspruch? Hatte sie ihre Beziehungen spielen lassen? Ich hoffte, Petra würde bald zurückkommen und ich könnte dann bei ihr und Clio leben.
In der Zwischenzeit lagerte mein ganzes Zeug bei Axelle im Französischen Viertel.
Im September waren es es in der Morgendämmerung bereits fast dreißig Grad. Ich lief die engen, beinahe totenstillen Straßen hinunter und dachte daran, wie hübsch das Französische Viertel aussah, wenn sich so wenige Leute darin aufhielten. Später würden sich lärmende Menschenmassen hier durchschieben, und es würde nach Bier und Sonnenmilch riechen.
Ich war immer noch voller Ehrfurcht vor dem Zauber, den ich mit Clio ausprobiert hatte. Ich meine, ich war ungefähr zweieinhalb Meter durch den Raum geschleudert worden. Durch pure Magie! Es war wirklich kaum zu glauben. Aber als Beweis hatte ich eine Beule am Kopf. Clio hatte gesagt, sie würde versuchen herauszufinden, was schiefgegangen war, aber wenn sie bislang noch nicht einmal von so etwas gehört hatte…
Ich sperrte auf und trat durch das schmiedeeiserne Seitentor, das zu Axelles Wohnung führte. Die schmale Auffahrt war kühl und feucht.
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