Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Ein Rückblick aus dem Jahr 2000

Titel: Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Bellamy
Vom Netzwerk:
daß sie ihre Unternehmungen gegenseitig zugrunde zu richten vermöchten.
    Das Sausen der Räder und das Pochen der Hämmer, das von allen Seiten ertönte, war nicht ein Lied friedlichen Gewerbefleißes, es war das Geklirr von Schwertern, die im Kampfe geschwungen wurden. Die Fabriken und Werkstätten waren ebenso viele Festungen, jede unter einer anderen Flagge. Jede hatte ihre Geschütze auf die ringsum liegenden Fabriken und Werkstätten gerichtet, und ihre Sappeurs {23} waren unter dem Boden geschäftig, die anderen zu unterwühlen.
    Innerhalb einer jeder dieser Festungen herrschte die straffste Organisation der Arbeit. Einheitlicher Leitung unterstanden die zusammengehörenden einzelnen Betriebe mit ihren verschiedenen Arten von Arbeitern. Jede Störung, jede unnütze Arbeit war ausgeschlossen. Jedem einzelnen war seine Aufgabe zugeteilt, und keiner blieb müßig. Welche Lücke des Denkvermögens, welches aus der Kette der Schlußfolgerungen verlorene Glied erklärte es nur, daß man nicht die Notwendigkeit einsah, auf die Organisation der gesamten nationalen Wirtschaft das nämliche Prinzip anzuwenden, das für die Organisierung jedes einzelnen Industriebetriebes galt? Was verhüllte die Erkenntnis, daß der Mangel an einheitlicher Organisation, der jedes einzelne Unternehmen gefährdet hätte, auch das gesamte nationale Wirtschaftsleben schwer schädigen mußte, und daß hier um so unheilvollere Folgen unvermeidlich waren, als es sich um weit riesigere und verwickeltere Verhältnisse handelte als in einem Privatbetrieb?
    Wie schnell würde man bei der Hand sein, ein Heer zu verspotten, das nicht in Kompanien, Bataillone, Regimenter, Brigaden, Divisionen und Armeekorps gegliedert wäre! Ein Heer, das keine größeren Gruppen als die Korporalschaften aufwiese, keine höheren Offiziere als Korporale, und in dem alle Führer gleiche Machtbefugnisse besäßen. Und doch stellten die Industriebetriebe in dem Boston des neunzehnten Jahrhunderts gerade solch ein Heer dar: ein Heer, das aus Viertausend selbständigen Korporalschaften bestand, die von viertausend selbständigen Korporalen geführt wurden, von denen jeder einzelne seinen besonderen Feldzugplan verfolgte.
    Überall traf man auf Gruppen von Leuten, die ohne Beschäftigung waren. Manche von ihnen gingen müßig, weil es ihnen überhaupt unmöglich war, Arbeit zu finden, andere wiederum, weil sie nicht den Lohn erhalten konnten, den sie für gerecht und billig hielten. Ich sprach mehrere dieser Feiernden an, und sie klagten mir ihr Leid. Ich konnte ihnen nur schlechten Trost geben. „Sie tun mir leid“, sagte ich. „Gewiß, Sie erhalten äußerst wenig, und doch wundere ich mich nicht, daß so schlecht geleitete Betriebe wie diese hier Ihnen keinen auskömmlichen Lohn zahlen, sondern nur, daß sie Ihnen überhaupt noch Lohn zahlen können.“
    Ich kehrte nun wieder nach dem Stadtteil auf der Halbinsel zurück. Gegen drei Uhr befand ich mich in der Statestraße und starrte nun – als hätte ich dergleichen nie zuvor gesehen – die Banken und Wechselstuben und andere Finanzinstitute an, von denen in der Statestraße meines Traumes keine Spur gewesen war. Geschäftsleute, Prokuristen und Laufburschen drängten sich hinein und heraus, denn es fehlten nur noch weni ge Minuten bis zum Geschäftsschluß. Mir gegenüber lag das Bankhaus, wo ich meine Geldgeschäfte abzuwic keln pflegte. Ich ging über die Straße, mischte mich unter die eintretende Menge und blieb in einer Mauernische stehen, um das Heer der mit Geld hantierenden Ange stellten zu beobachten und die langen Reihen von Leu ten, die an den Schaltern Geld deponierten. Ein ältlicher, mir bekannter Herr ging an mir vorüber, ein Direktor der Bank. Er blieb einen Augenblick stehen, als er mich auf meinem Beobachtungsposten bemerkte.
    „Ein interessanter Anblick, Herr West, nicht wahr?“ sagte er. „Ein wundervoller Mechanismus, muß ich gestehen. Oft macht es mir Vergnügen, mich hierherzustellen und dem Getriebe zuzuschauen, wie Sie es tun. Es ist ein Gedicht, Herr West, jawohl, ein Gedicht! Ich kann es nicht anders nennen. Ist Ihnen schon je eingefallen, daß die Bank das Herz des wirtschaftlichen Organismus ist? Von ihm aus und zu ihm zurück fließt in endlosem Kreislauf das Lebensblut. Jetzt strömt es ein, am nächsten Morgen wird es wieder ausströmen.“ Und über seine Idee wohlgefällig lächelnd, ging der alte Herr weiter.
    Noch gestern würde mir der Vergleich als sehr treffend

Weitere Kostenlose Bücher