Ein Schnupfen hätte auch gereicht. Meine zweite Chance
und intimes Schicksal zu einem Tagebuch verarbeiten will.
Aber irgendwie fanden wir den Anfang nicht und so kam die gastfreundliche Frau Köster im Winter 2008 auf die großartige Idee, dass wir doch im Februar 2009 gemeinsam für ein paar Tage auf Ibiza verbringen sollten. Dort hätten wir doch die Ruhe und die Muße, um endlich mal ungestört loszulegen! Gesagt, gebucht.
Das Komische war nur: Ich konnte mich gar nicht so richtig über diese Idee freuen, und wenn ich ganz tief in der Nacht manchmal in mich hineingehört habe, dann fühlte ich sogar eine Art Angst vor dieser Reise. Ich bin ein extremer Instinktmensch, und mein Körper reagiert meistens sofort auf mein seelisches Unwohlsein. Und so wundert es mich im Nachhinein überhaupt nicht, dass ich versuchte, mich mit einer fetten Stirn- und Nebenhöhlenvereiterung von der Reise abzubringen. Was natürlich nur ein Versuch war, denn mir war schon klar, dass ich unmöglich absagen konnte.
Also saßen wir im Februar 2009 im Flieger, und mein Kopf war voller Eiter, was mir beim Landeanflug große Schmerzen wegen des Druckausgleichs bereitete. Also fuhren wir nach der verfluchten Landung gleich zu einem Arzt, den Gaby kannte und der mir erst mal ein dickes Antibiotikum verschrieb. Toller Start!
Dann fuhren wir zum Haus, wo – dem Himmel sei Dank – diesmal aber alles in Ordnung war. Abends gingen wir gemeinsam essen und verabredeten, dass wir am nächsten Morgen nach dem Frühstück mit der Arbeit beginnen wollten. Die Stimmung war gut, wir lachten viel und ich dachte noch: Du bist immer viel zu pessimistisch, Till. Ist doch alles in Butter! Gaby ist gut drauf, und es geht dir morgen bestimmt viel besser!
Am nächsten Morgen saß ich also mit meinem Laptop um halb zehn in der Küche und wartete mit dem Frühstück auf Gaby und ihren Freund. Plötzlich und ohne jegliche Vorwarnung hörte ich ihn aus dem hinteren Teil des Hauses brüllen. Ich habe es zuerst nicht verstanden, aber dann brüllte er noch mal und viel lauter: » TILL , HILFE ! HILFE ! Komm schnell! Ich glaube, Gaby hat einen Anfall! HILFE , TILL !!«
Ich reagierte auf zwei Ebenen. Mein Verstand brüllte mich sofort an: »Das wollen wir gar nicht sehen, Till! Los, wir hauen einfach ab. Nix wie weg!« Mein Körper hörte zwar auf meinen Verstand, aber er lief unverzüglich in Gabys Schlafzimmer. Dort sah ich etwas, was ich wohl nie vergessen werde: Gaby saß auf dem Bett, hatte den Kopf schräg nach oben verrenkt und war starr. Sie stöhnte laut und schien heftig zu krampfen, im »Inneren«. Ihr Freund hatte seine Finger in ihrem Mund und schrie vor Schmerzen auf, denn Gabys Kiefer drohte, seine Finger abzubeißen. Er hatte geistesgegenwärtig reagiert, damit sie sich nicht beim Krampfen die Zunge abbeißen konnte.
Der Krampf und ihr gepresstes Stöhnen wurden immer heftiger. Dabei verdrehte Gaby die Augen immer mehr; sie waren komplett ausdruckslos. Ich stand da völlig hilflos, und mir hämmerte nur ein Gedanke durch den Kopf: Jetzt stirbt sie vor deinen Augen und du kannst nichts tun außer zugucken. Sie stirbt, sie stirbt, sie stirbt.
Ich wollte weglaufen, aber ich konnte es nicht. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit, aber es war vielleicht nur eine halbe Minute, dann reagierten wir. Wir setzten Gaby in ihren Rollstuhl, riefen einen guten Bekannten, der auf der Insel wohnt, an und informierten ihn! Der wiederum rief sofort in einem Krankenhaus an und machte sich auf den Weg zu Gabys Haus. Gemeinsam schafften wir Männer es – ich frag mich heute noch, wie –, Gabys Jeep auf die Terrasse zu brettern und die krampfende Gaby auf eine Matratze in den umgeklappten Kofferraum zu hieven. Das ging alles in circa zehn Minuten. Ich weiß noch, wie wir den ganzen Aufenthalt – vor und nach dem Anfall – nie mit dem Rollstuhl durch die Eingangstür gekommen waren, ohne irgendwie stecken zu bleiben. Außer natürlich in dieser extremen Notsituation. Sachen gibt es! Was ein Zufall. Oder nicht?!
Mancher wird sich jetzt bestimmt fragen, warum wir nicht einen Notarztwagen gerufen hatten. Ganz einfach. Bis der bei Gaby mitten in der Pampa gewesen wäre, das hätte viel zu lange gedauert. Da waren wir alleine wesentlich schneller, und wir hatten schon das Gefühl, dass es besser wäre, wenn wir schnell handeln und keine kostbare Zeit verschwenden würden!
Auf dem Weg in die Klinik in Ibiza-Stadt wurde Gaby langsam ansprechbar, und in uns keimte die Hoffnung, dass es nur ein kleiner Schlaganfall gewesen
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