Ein Schnupfen hätte auch gereicht. Meine zweite Chance
war. Ich sprach ein paar Worte mit ihr, und sie sagte mir leise, aber mit relativ klar zu verstehenden Worten, dass ihr kalt wäre. Das wirkte irgendwie beruhigend auf mich, wahrscheinlich weil es so normal klang. Es klang für mich jedenfalls besser als »Hilfe, ich habe Schmerzen« oder weiß der Teufel was!
Schließlich erreichten wir die Notaufnahme und übergaben Gaby den »Fachleuten«. Da standen wir nun also draußen in der ibizenkischen Wintersonne und ich dachte: Das gibt es doch wohl nicht! Das ist alles nur ein dummer Traum! Und gleichzeitig ahnte ich, wovor ich eigentlich die ganzen Wochen vor der Reise Angst gehabt hatte: Dass mir das Schicksal meiner Freundin Gaby zu nahe kommen könnte. Dass es in mein Leben eindringen und mein seelisches Gleichgewicht außer Kraft setzen könnte. Auf dieser Mauer vor dem Krankenhaus wurde mir klar, dass ich aber genau davor nicht weglaufen konnte! Besser gesagt – nicht darf! Man darf nicht vor den Ängsten weglaufen. Man kann sie verdrängen, aber meine Erfahrung ist bisher immer gewesen: Sie kriegen dich am Ende doch, die dunklen Gedanken. Sie holen einen ein und dann holen sie dich ab.
Abends dann lag ich bis tief in die Nacht wach in meinem Bett und fragte mich: Wie wolltest du denn deiner kranken Freundin helfen, ein Tagebuch zu schreiben, wenn du eigentlich in deiner Angst um deine heile Welt gar nicht richtig kapiert hast, was die Krankheit für sie bedeutet? Was diese tapfere Frau jeden Tag durchmacht? Es ist ja so schön einfach, am Telefon mit Gaby zu plaudern! Oder sie mal auf einen Kaffee oder zum Abendessen zu besuchen. Man kann ja immer abhauen, wenn es ungemütlich wird. Aber wenn man weg ist – wer hilft ihr dann? Beim Aufstehen? Waschen? Zur Therapie fahren? Einkaufen? Essen kochen? Betten beziehen? Wer wissen will, wie es Gaby Köster so geht, kann ja mal seine linke Hand lahmlegen und versuchen, den Haushalt einer ganz normalen Familie zu schmeißen. Und wem das nicht reicht, der setzt sich noch in den Rollstuhl … Noch Fragen, Herr Staatsanwalt? Aber das kriegt ja keiner mit am Telefon oder »auf Besuch«. Habe ich ja auch schön ausgeschaltet, dieses Szenario. Bis ich auf Ibiza nicht mehr weglaufen konnte. Und mich ihr Schicksal noch mal mit aller Wucht erwischte.
Am nächsten Tag im Krankenhaus wurden alle möglichen Untersuchungen gemacht. Und die Vermutung, dass Gaby keinen zweiten Schlaganfall, sondern einen epileptischen Anfall erlitten hatte, bestätigte sich. Und so habe ich am Ende dieses Trips nach Ibiza dann doch noch begriffen, dass diese Reise mitsamt ihren schauerlichen Ereignissen das Beste war, was mir passieren konnte. Gerade in Bezug auf unser gemeinsames Projekt und unsere Freundschaft! Nie hätte ich eindrucksvoller und schneller begriffen, wie gut und schön es ist, wenn man gesund ist. Ich möchte nicht in Gabys Haut stecken, und ich weiß nicht, ob ich an ihrer Stelle schon so viel nach diesem schweren Schicksalsschlag erreicht hätte wie diese außergewöhnliche Frau! Gaby Köster verdient meinen tiefen Respekt und meine ganze freundschaftliche Liebe.
Seit dem epileptischen Anfall auf Ibiza im Februar 2009 ist wieder viel Zeit vergangen, in der Gaby Köster – wie sie es sagen würde – von Beruf »Schlaganfallpatientin« wurde. Tapfer kämpft sie seither um jeden Millimeter Befehlshoheit über ihre linke Körperhälfte. Stolz ruft sie an, wenn sie das erste Mal wieder von selbst einen Finger der lahmen linken Hand bewegt hatte. Und selbstverständlich – wie könnte es bei Gaby Köster anders sein – war es der ausgestreckte Mittelfinger … na klar!
Sie ist voller Tatendrang: Sie möchte Fahrstunden mit dem Auto machen, um selbst wieder mobiler zu werden und ihre Mutter zu entlasten. Sie mischt sich wieder unter Leute, besucht die Stadt, um ihrem Hauptlaster – »Unterhaltungselektronik shoppen« – zu frönen. Sie besucht Konzerte und Comedy-Veranstaltungen. Aus dem Tagebuch-Projekt ist irgendwann dieses Buch entstanden und ich bin sehr stolz, dass wir es zusammen geschrieben haben.
Claudia und ich hatten uns wahnsinnig gefreut, dass sie zu Claudias vierzigstem Geburtstag selbstverständlich in Hamm bei der großen Party im »Louis« dabei war und mit unseren Freunden wie immer begeistert gefeiert hatte! Sie besucht uns mittlerweile sogar ohne Rollstuhl und verwöhnt meine kleine Tochter Zita immer noch mit tollen Geschenken!
Sie beklagt sich so gut wie nie über ihr Leben. Es sei denn die
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