Ein Schnupfen hätte auch gereicht. Meine zweite Chance
telefonieren würden, sobald wir neue Informationen bekommen würden.
Ich legte auf, drehte mich um und sah in das verängstigte Gesicht meiner Frau, die mich mit großen Augen anschaute und leise fragte: »Was ist um Himmels willen passiert?« Während ich anfing, ihr das ganze Drama zu erzählen, fing ich hemmungslos an zu weinen. Claudia war geschockt und hatte auch Tränen in den Augen. Unsere kleine Zita war etwas irritiert und fragte, warum wir so traurig wären. Wir erklärten ihr natürlich, dass Gaby, die Mama von »Döner-alt« (so nannte die kleine Maus immer Donald), sehr krank wäre und dass uns das sehr traurig machte! Aber ich glaube, sie hat es damals nicht so richtig verstanden, weil sie mit ihren drei Jahren einfach noch ein bisschen zu klein war, um zu realisieren, worum es ging. Nämlich um Leben und Tod. Aber ich dachte sofort: Und wenn leben, wie dann leben? Als sabberndes Wrack im Bett beziehungsweise ans Bett gefesselt?
Ich war fix und fertig. Das holte mich gleich an der richtigen Stelle ab. Ich habe eine Heidenangst vor solchen Erkrankungen wie einem Schlaganfall, und dementsprechend gehe ich sofort auf einen Horrortrip, wenn ich so was höre. Noch schlimmer war es natürlich, dass es auch noch meine liebste Gaby erwischt hatte. Wir hatten doch noch vor ein paar Tagen telefoniert, da war doch alles okay gewesen? Ich war völlig niedergeschlagen, wie betäubt, und ich fragte Claudia permanent: »Was geht hier eigentlich ab? Was ist denn jetzt mit Donald? Und der Mum?« Fragen über Fragen, auf die wir natürlich so schnell keine Antwort fanden. Also tat ich das, was ich jeden Dienstagabend mache, wenn ich nicht arbeiten muss: Ich packte mir meine Lieblingsgitarre unter den Arm und ging zur Altobellis’ Band-Probe! Meine Frau Claudia hat das nicht weiter verwundert. Sie weiß ganz genau, wie wichtig mir das Musizieren mit meinen Jungs ist! Und dass ich die Musik gerade in diesem Zustand dringend als Ventil für das heillose Durcheinander in meinem Kopf brauchte.
Ich habe schon immer Musik als Transportmittel für meine Emotionen benutzt, schon seit meiner Kindheit. Wer mich gut kennt, der weiß ja sowieso, dass sich hinter meiner großen Klappe und den lustigen Sprüchen eigentlich ein sehr schüchterner und hochgradig sensibler Mensch verbirgt. Gaby weiß das und darum »lieben« wir uns ja auch so. Wir sind uns – ich habe es schon oft erwähnt – sehr ähnlich.
Ich fuhr also zu dem Proberaum und erzählte den Jungs, was passiert war. Sie waren alle sehr betroffen, denn sie hatten Gaby bei einigen Gelegenheiten kennengelernt und fanden sie auch sehr sympathisch. Es war dann ziemlich still. Bis ich meine Fender Telecaster in meinen Vox AC 30 stöpselte …, den Verstärker, den ich von meiner Gaby geschenkt bekommen hatte. Ich drehte ihn auf und wir fingen an zu spielen. Ich weiß nicht, warum, aber ohne zu überlegen hatte ich mir als erstes Stück einen alten, wirklich harten Blues von Freddie King ausgesucht: »Going down! I’m goin’ down, I’m goin’ down, down, down, down, down …« Ich habe all meine Wut, Verzweiflung und meine Hoffnung in die Musik gelegt. Ich habe an jenem verfluchten Dienstagabend so intensiv gespielt und gesungen wie selten zuvor in meinem Leben und habe sozusagen einen Gottesdienst der Emotionen zelebriert. Und während ich in das tosende und tröstende Klang- und Dezibelinferno dieses wahrhaft lauten Verstärkers eintauchte, liefen mir die Tränen über das Gesicht. Es war meine Art des Versuchs, meine Seelenschwester Gaby auf diesem Weg zu erreichen und vom Sterben abzuhalten. Gott weiß, ich habe es versucht. All meine Wut, Trauer und Verzweiflung haben über die Musik ein Ventil gefunden und mir geholfen, mit der Situation klarzukommen.
Am nächsten Tag bin ich morgens mit Zita in die Pauluskirche gegangen. Wir haben ein paar Kerzen für Gaby angezündet und das Vaterunser für sie gebetet. Von diesem Tag an haben wir beim Abendgebet mit Zita vor dem Schlafengehen unsere Fürbitte für unsere liebe Freundin wiederholt: »Lieber Gott, bitte mach die Gaby wieder gesund!« Bis sie wirklich wieder »über dem Berg« war. Ich habe fast jeden Tag mit jemandem der Familie, Freunde oder dem Management telefoniert, bis ich Gaby eines Tages im April wieder selber am Telefon hatte und sie ein paar Worte mit mir sprechen konnte.
Das war schon ein glücklicher, bewegender, aber auch gleichzeitig ein irgendwie – bitte nicht falsch verstehen –
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