Ein schottischer Sommer: Roman (German Edition)
Steffi und Oliver. Von Claudia ganz zu schweigen. Eine Siebzehnjährige! Da werde ich sogar Schwierigkeiten haben, zurechtzukommen.«
»Du wirst in der Tat eine Menge Schwierigkeiten haben. Du vergisst, dass du genauso wenig Erfahrung hast wie Anna und Konrad. Ich weiß überhaupt nicht, woher du deine Selbstsicherheit nimmst.«
Judith schwieg verärgert. Es war immer das Gleiche! Nichts als grauer Pessimismus. Wieder starrte sie in den Spiegel. Ihr Haar sah verheerend aus, mittelbraun, langweilig, ohne jeden Schnitt. Schon möglich, dass ihr nie mehr ein anderer Mann Avancen machen würde. Aber egal. Sie war jetzt dreifache Mutter, und wenn diese Tatsache auch ihren Heiratschancen gewiss mehr als abträglich war – wer sagte eigentlich, dass sie unbedingt heiraten musste? Und dass es unbedingt ein absolut berauschendes Ereignis war, Hubert zu heiraten? Einen Mann, der in sakraler Feierlichkeit eine Flasche Sekt in ihrem Kühlschrank deponierte und sich dann beharrlich ausschwieg. Und dessen Antrag bestimmt schriftlich kam, mit fünffachem Durchschlag und der dringenden Bitte, ein Exemplar umgehend und gegengezeichnet an den Antragsteller zurückzusenden.
»Judith? Was ist los? Bist du noch dran oder schwebst du schon im siebten Mutterhimmel?«
»Kommst du jetzt feiern oder nicht?«
»Nein, ich komme nicht feiern. Aber ich lade dich zum Abendessen ein. Um sieben Uhr beim ›Alten Wirt‹.«
»Na gut«, meinte sie seufzend. »Um sieben Uhr beim ›Alten Wirt‹. Obwohl … ich meine, angesichts der Besonderheit des Tages, lieber Hubert, wäre es vielleicht ausnahmsweise angebracht, den Tagungsort in ein schickes italienisches Restaurant … nein? Okay. Nein.« Sie schnitt abermals eine Grimasse und legte auf.
Als Konrad und Anna Dehler die Kopie des Bescheides vom Jugendamt Ulm erhielten, atmeten sie erleichtert auf. Sie hatten damals, vor einem halben Jahr, getragen von dem edlen Gefühl, drei über Nacht zu Waisen gewordenen Kindern vorübergehend Heim und Schutz zu gewähren, geradezu kategorisch darauf bestanden, ihre Gastfreundschaft anzubieten, bis eine geeignete Lösung gefunden sei.
Doch bald schon und ohne es sich jemals einzugestehen, hatten sie es bitter bereut. Anna, die Schwester Lilli Uhlands, ein mütterlicher, molliger Typ mit roten Backen und flinken Augen, merkte sehr schnell, dass sie, die bis dahin kinderlos war, überhaupt nicht wusste, wie sie mit Claudia, Steffi und Oliver umgehen sollte.
Und auch Konrad benahm sich so hilflos wie ein Fisch auf dem Trockenen. Obwohl es ihn natürlich weniger betraf. Er stand den ganzen Tag im Laden, bediente die Kunden und sah diese Rasselbande nur abends. Und selbst da hatte er schon nach kürzester Zeit die Nase voll. Aber sie?
Sie hatte sich weder an den schnoddrigen Ton noch an die unmögliche Kleidung und die schlechten Manieren der drei gewöhnen können. Margareth hatte die Kinder einfach zu sehr verwöhnt … Immer öfter schüttelte Anna den Kopf, räumte Claudias nachlässig über einen Stuhl geworfene Kleider in den Schrank, ertrug Steffis freche Antworten und sah nach Oliver, der vorwiegend in düsteren Ecken hockte, in seinen Büchern schmökerte und so zugänglich war wie die Festung von Alcázar.
Doch nun war es vorbei. Es war August, und Ende des Monats würden Claudia, Steffi und Oliver nach München reisen. Koffer und Kisten standen zum Teil bereits gepackt, eingelagerte Möbelstücke würden noch diese Woche auf den Weg gebracht werden, und sie und Konrad konnten schon sehr bald wieder zu ihrem ruhigen, beschaulichen Leben früherer Tage zurückkehren. Obwohl … um den kleinen Oliver tat es Anna ein wenig leid. Denn abgesehen von seiner beständigen, traumverlorenen Schmökerei in Büchern war er ein lieber Junge, ernst, ordentlich, nie laut und wenn auch schwer zugänglich, so doch der höflichste. Er hatte bei Anna großmütterliche Gefühle geweckt, ihr kleine Botengänge abgenommen, den Abfall zur Tonne getragen und sogar die Nachbarn gegrüßt. Wenn er bei ihr bliebe … Doch auch darüber sprach sie nicht mit Konrad. Ein Esser mehr … Konrad war geizig, so geizig, dass er Anna sogar nötigte, mit bröseligen Fertigsuppen, Konserven und allerlei unverkäuflichen verstaubten Ladenhütern den Küchenzettel höchst fragwürdig zu bereichern.
»Drei Wochen Buchstabensuppe«, hatte Steffi erst gestern bemerkt. »Das macht aus jedem Analphabeten ein Genie.«
»Woanders hungern die Menschen.«
»Dann schick denen eine Ladung
Weitere Kostenlose Bücher