Ein skandaloeser Kuss
sein. Wahrscheinlich wird Lady Eleanor, wenn sie in Italien bleibt, nichts unternehmen – zumal weder du noch Miss Springley kriminelle Motive hattet.“
„Können wir auf deinen Beistand rechnen, wenn Lady Eleanor es tut?“
„Selbstverständlich.“
„Danke.“
„Was Sturmpole angeht“, fuhr Drury fort, „so bin ich, nach allem, was ich über ihn in Erfahrung gebracht habe, zuversichtlich, dass er überzeugt werden kann, keine Anzeige zu erstatten. Sorgen mache ich mir daher nicht so sehr seinetwegen, sondern um dich. Bist du immer noch entschlossen, Miss Springley nicht zu heiraten?“
Bromwell versuchte den Schmerz nicht zu zeigen, der ihn bei der Frage befiel. „Sie muss frei sein, wenn ich lossegele, Drury. Für den Fall, dass ich nicht zurückkehre. Du weißt, dass es nach einem Schiffsuntergang mitunter Jahre dauert, bis die Mannschaft für tot erklärt wird. Und eine solche Tortur werde ich ihr auf keinen Fall zumuten.“
„Du hast vor, ihr zu ihrem eigenen Besten das Herz zu brechen, bevor du fortgehst?“
„Wenn du es so ausdrücken willst, ja.“ Bromwell erhob sich und ging zur Tür. „Es ist sinnlos, weiter über das Thema zu diskutieren, Drury. Ich heirate sie nicht, und Schluss.“
Leise seufzend stand Drury auf und folgte seinem Freund.
Nell hätte es vorgezogen, allein oder mit Justinian nach Granshire Hall zurückzugehen statt in Gesellschaft einer Fremden, die ihr gerade erst vorgestellt worden war.
„Sie können sich glücklich schätzen, Buggys Herz gewonnen zu haben“, bemerkte Lady Drury lächelnd. „Wenn ich Drury nicht hätte, wäre ich sicher eifersüchtig.“
Nachdem sie bei einer leidenschaftlichen Umarmung überrascht worden waren, konnte Nell kaum bestreiten, dass Lord Bromwell und sie eine Affäre hatten, dennoch wollte sie eine Diskussion über das Thema tunlichst vermeiden.
„Anfangs mochte ich ihn nämlich viel besser leiden als Drury“, fuhr Lady Drury fort.
Nell horchte auf.
„Buggy war höflich und liebenswürdig, obwohl ich nur eine Näherin und dazu noch Französin war – beides Gründe für Drury, mich nicht mögen, geschweige denn lieben zu können. Jedenfalls dachte er das, und ich auch. Unsere Gefühle freilich richteten sich nicht danach.“
Nell wusste genau, wovon sie sprach. Würde ihr Verstand ihr Herz regieren – und nicht umgekehrt –, wäre sie längst nicht mehr in Granshire Hall und hätte ganz gewiss vermieden, jemals mit Justinian allein zu sein.
„Sicher haben Sie die Hände meines Gatten gesehen.“
„Ja.“ In der Tat waren Nell die verkrüppelten Finger des Baronets aufgefallen.
„Er wurde gefoltert, als er in französische Gefangenschaft geriet. Von meinem Bruder.“
Nell blieb wie angewurzelt stehen. „Ihrem Bruder?“, wiederholte sie ungläubig.
„Auch wenn es mich schmerzt, es zugeben zu müssen, aber so war es, oui . Drury spürte ihn nach dem Krieg auf und tötete ihn für das, was er ihm und anderen angetan hatte.“
Ihr Ehemann hatte ihren Bruder umgebracht? „Und trotzdem sind Sie seine Frau geworden?“
„Weil ich ihn mehr liebe, als ich ihn je hassen könnte. Und weil ich verstehe, warum er es tat. Eine Zeit lang war ich sicher, dass wir niemals zusammenkommen würden, doch dann erkannten wir beide, dass unsere Liebe groß genug ist, um alles zu überwinden, was uns trennt.“
Nell wunderte sich, dass Lady Drury ihr gegenüber so mitteilsam war, doch sie mochte sie nicht darauf ansprechen. Über Justinian oder ihren Vater reden wollte sie allerdings auch nicht.
„Sie fragen sich sicher, weshalb ich Ihnen das alles erzähle“, fuhr Lady Drury fort, als habe sie ihre Gedanken gelesen. „Ich tue es, weil ich weiß, wer Sie sind und was mit Ihrem Vater los ist. Mein Mann und ich haben keine Geheimnisse voreinander. Außerdem will ich, dass Buggy glücklich wird, und mir scheint, Sie halten sich nicht für wert, seine Frau zu werden, weil Sie gesellschaftlich unter ihm stehen und weil Ihr Vater ein verurteilter Straftäter ist.“
Sie erreichten die Terrasse, und Lady Drury blieb stehen. „Buggy ist kein Mann, der mit den Gefühlen einer Frau spielen oder aus selbstsüchtigen Beweggründen das Bett mit ihr teilen würde. Soweit ich es beurteilen kann, liebt er Sie sehr, und wenn er Sie um Ihre Hand bittet und Sie ihn lieben, sollten Sie Ja sagen.“
Nell wollte nichts davon hören. Sie wollte nicht glauben, dass Justinian sie liebte. Nicht wenn er sie verließ. Sie verlassen musste.
Sie
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