Ein Sohn für den Scheich
befanden, desto elender wurde ihr zumute. In wenigen Augenblicken würde sich ihr weiteres Leben entscheiden, und auch wenn sich alles in ihr gegen den Gedanken sträubte, konnte sie nicht ausschließen, dass die Angst, die sie immer mehr in Besitz nahm, nicht unbegründet war.
Als sie das Büro fast erreicht hatte, ging plötzlich die Tür auf, und Hassan stand vor ihr. Er war mindestens so überrascht wie Leona, doch anders als ihr war ihm deutlich anzusehen, wie zuwider ihm die unerwartete Begegnung war.
Im selben Moment begann sich die Welt um sie her zu drehen, und um sich gegen das Schwindelgefühl zu wehren, fehlte ihr die Kraft. Deshalb nahm sie den Kampf gar nicht erst auf, sondern gab sich der Schwärze, die sie umfing, widerstandslos hin.
Als sie wieder zu sich kam, lag sie auf dem kühlen Marmorboden, und Hassan kniete neben ihr.
“Was ist passiert?”, fragte er besorgt, als er sah, dass sie die Augen öffnete.
Doch um ihm darauf eine Antwort zu geben, saß der Stachel noch zu tief. Deshalb schloss Leona die Augen wieder, wie um den Gedanken an das Unaussprechliche auszulöschen.
Hassan schien ihre Reaktion missverstanden zu haben, denn nachdem er ihr behutsam die Stirn gefühlt hatte, hob er Leona hoch und trug sie ins Schlafzimmer.
“Was hat mein Vater dir gesagt?”, fragte er, nachdem er sie behutsam aufs Bett gelegt hatte. “Dass du nicht hättest zurückkommen dürfen?”
Die Frage war nicht dazu angetan, Leona zu beruhigen. “Er hat sich zwar anders ausgedrückt, aber letztlich läuft es auf dasselbe hinaus”, erwiderte sie schließlich. “Er hat mir erzählt, dass Scheich Abdul hinter meiner geplanten Entführung steckt.”
“Wie konnte ich nur so dumm sein, dich mit ihm allein zu lassen!” Hassan setzte sich auf die Bettkante.
Er wirkte, als wäre er die ganze Angelegenheit restlos leid, doch weitere Nachfragen konnte und wollte Leona weder ihm noch sich selbst ersparen. “Sag mir lieber, warum du mich zum wiederholten Mal angelogen hast”, forderte sie bestimmt.
“Ich habe nicht gelogen, sondern nur nicht die ganze Wahrheit gesagt”, beteuerte er. “Solange ich Abdul nichts beweisen kann, sind mir die Hände gebunden. Schließlich kann ich nicht aufgrund eines Gerüchtes einen Streit zwischen unseren Familien vom Zaun brechen, der sich schnell zu einem Flächenbrand …”
“Das leuchtet mir auf Anhieb ein”, fiel Leona ihm voller Sarkasmus ins Wort. “Falls dir trotz aller Umsicht die Dinge aus der Hand gleiten sollten, bleibt dir immer noch, deine Unterschrift unter den Vertrag zu setzen, der Nadira zu deiner Frau macht.”
Erneut benötigte Hassan keine Worte, um Leona zu bestätigen, dass ihr Verdacht mehr als berechtigt war. Der Blick, mit dem er sie ansah, war ein offenes Geständnis. “Weißt du das auch von meinem Vater?”, fragte er schließlich, und seine Stimme klang beinahe gleichgültig.
“Zafina hat es mir erzählt”, erwiderte Leona und zog die Beine an, als müsste sie sich vor ihrem eigenen Mann schützen. “Sie hat mir Abduls Abschrift gezeigt. Dass du nicht den Mut aufgebracht hast, mit mir darüber zu sprechen, sagt mir mehr, als ich wissen muss.”
“Bislang ist es ein wertloses Stück Papier”, versuchte Hassan sich zu rechtfertigen. “Und auch wenn du mir nicht glaubst: Ich hatte niemals vor, es zu unterschreiben.”
“Nicht einmal, wenn sich dein Anspruch auf den Thron nicht anders durchsetzen ließe?”
“Nicht einmal dann”, erwiderte Hassan.
“Erwartest du wirklich, dass ich dir das glaube?”, fragte sie wütend und richtete sich auf.
“Erwarten nicht, aber erhoffen.”
“Leider muss ich dich enttäuschen”, erwiderte Leona unversöhnlich. “Dafür hast du mich zu oft angelogen.”
“Wo willst du denn hin?”, fragte Hassan, als er sah, dass Leona das Bett verließ.
“Ins Bad. Mir ist übel. Deshalb werde ich mich gleich ins Bett legen und versuchen zu schlafen – was mir sicherlich leichter fällt, wenn du den Raum verlässt, solange ich im Bad bin.”
Die Tür fiel mit einer Wucht ins Schloss, die Hassan unmissverständlich klarmachte, wie ernst es Leona mit ihrer Aufforderung war. Trotzdem zögerte er eine Weile und versuchte, sich über die Situation klar zu werden, in die Zafina ihn manövriert hatte.
Sie hatte ihn an seinem wundesten Punkt getroffen, denn nichts konnte Leonas Vertrauen in ihn ähnlich stark erschüttern wie der Vertrag, von dessen Existenz er ihr aus gutem Grund nichts gesagt hatte.
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