Ein Sohn für den Scheich
unglücklich, was sie in dem Verdacht bestärkte, dass er einem klärenden Gespräch gezielt aus dem Weg ging.
Nach der Landung in Rahman fuhren sie mit einem Geländewagen die wenigen Kilometer zum Palast, dessen Mauern aus rotem Ziegelstein in der Abendsonne zu glühen schienen.
Ein ganzes Jahr lang war Leona dieser Anblick versagt geblieben, und erst jetzt wurde ihr klar, was ihr gefehlt hatte. Hier war ihr Zuhause, die Wohnung in London und selbst die Villa in San Estéban hingegen kaum mehr als ein Dach über dem Kopf.
“Mein Vater erwartet uns schon”, teilte Hassan ihr mit, nachdem er sie durch das prunkvolle Portal ins Innere des Palastes geführt hatte. “Mach dich darauf gefasst, einem todkranken Mann gegenüberzutreten.”
Der Ernst, mit dem er das sagte, ließ Leona erahnen, warum er den ganzen Tag so schweigsam gewesen war. Dass er nicht übertrieben hatte, wurde ihr schmerzlich bewusst, als sie den einst kraftstrotzenden Mann sah, der schwer gezeichnet in seinem Bett lag und nur mit Hilfe mehrerer Kissen im Rücken aufrecht sitzen konnte.
Während seine Söhne ihn begrüßten, hielt sich Leona zunächst im Hintergrund, bis Hassan ihr mit Blicken zu verstehen gab, dass sie sich zu ihnen stellen sollte.
“Da bist du ja wieder”, begrüßte Scheich Khalifa seine Schwiegertochter sichtlich erfreut. “Ich hoffe, meine Söhne haben sich als vollendete Kavaliere erwiesen.”
“Im Großen und Ganzen schon”, erwiderte Leona spontan, “soweit sich das von zwei skrupellosen Entführern behaupten lässt.”
Hassan sah sie befremdet an, doch als sein Vater laut zu lachen begann und Leonas Hand nahm, hellte sich seine Miene wieder auf.
“Deine Schlagfertigkeit hast du offenbar nicht eingebüßt”, sagte der Scheich, ehe er sich erneut an seine Söhne wandte. “Lasst uns jetzt bitte allein. Ich habe mit meiner Schwiegertochter etwas unter vier Augen zu besprechen.”
Hassan war deutlich anzumerken, wie wenig ihm diese Aufforderung behagte. Schließlich fügte er sich jedoch und verließ gemeinsam mit Rafiq den Raum.
“Bist du wirklich nur hier, weil Hassan dich dazu gezwungen hat?”, fragte Khalifa ohne Umschweife, kaum hatte Leona einen Stuhl neben das Bett gestellt und Platz genommen. “Oder hast du ihn aus freien Stücken begleitet, weil du ihn immer noch liebst?”
“Ich wünschte, ich könnte es mit Sicherheit sagen”, erwiderte Leona in aller Offenheit.
“Hassan braucht dich, und das weißt du ganz genau.”
“Nicht wenige in Rahman denken anders darüber”, wandte sie ein.
“Von jemandem wie Abdul wird sich Hassan nun wahrlich nicht einschüchtern lassen”, entgegnete Khalifa bestimmt.
“Dann stimmt das Gerücht, dass Scheich Al-Yasin mich entführen lassen wollte?”
Erst ihre Frage machte dem Scheich klar, dass Leona weniger gut informiert war, als er angenommen hatte. “Hat Hassan denn nicht mit dir darüber gesprochen?”, erkundigte er sich.
“Wäre es ihm sonst so schwer gefallen, uns allein zu lassen?”, erwiderte Leona lächelnd. “Ganz überraschend kommt die Nachricht allerdings nicht. Da ich weiß, wie versessen Zafina darauf ist, Nadira mit Hassan zu verheiraten, brauchte ich nur eins und eins zusammenzuzählen.”
Auf die Erwähnung ihrer Nebenbuhlerin reagierte ihr Schwiegervater unerwartet heftig. “Meine Tage sind gezählt”, sagte er mit großem Ernst und erschreckend unverblümt. “Für Rahman ist es das Beste, wenn Hassan mein Nachfolger wird. Um in Frieden sterben zu können, muss ich die Gewissheit haben, dass du zu ihm hältst – was immer die Zukunft auch bringen mag.”
Seine Worte verunsicherten Leona zutiefst, vor allem, weil sie offen ließen, was er ihr damit zu verstehen geben wollte. Die Ankündigung, dass von Abdul keine Gefahr mehr ausging, ließ sich ihnen ebenso entnehmen wie der dringende Appell, sich notfalls damit abzufinden, dass Hassan Nadira heiraten musste, um die Nachfolge antreten zu können.
Ehe Leona sich dazu überwinden konnte, ihren Schwiegervater danach zu fragen, bat er sie, ihn allein zu lassen, weil er sich ausruhen musste.
Der Zweifel nagte jedoch zu sehr an ihr, um das Thema auf sich beruhen zu lassen. Und wenn Khalifa ihr keine Auskunft geben konnte oder wollte, musste sie sich wohl oder übel an Hassan halten und ihn mit dem konfrontieren, was Zafina ihr erzählt hatte. Dann würde sich erweisen, ob er etwas vor ihr verbarg.
Je näher sie dem Trakt des Palastes kam, in dem sich Hassans Privatgemächer
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