Ein Sommer unwahrscheinlichen Gluecks
glücklich machen würde.«
»Das ist Irrsinn«, sagte sie nur. »Und Sie wissen das selbst.«
»Schön. Dann bin ich vielleicht irrsinnig. Aber es entspricht doch der menschlichen Natur, Dinge zu wollen. Ich kann meine Natur doch nicht verleugnen. Das ist unmöglich.«
»Wirklich?«, sagte sie und hob auf diese ganz eigene Weise die Augenbrauen.
Wenn sie das tut, gilt es für mich aufzupassen. Weil danach immer noch etwas kommt, und zwar etwas Gutes.
»Es gibt einen großen Unterschied zwischen Wollen und Erschaffen«, sagte sie. »Wollen Sie aufhören, sich zu sorgen und sich deprimiert und ängstlich und wütend zu fühlen?«
»Natürlich. Deshalb bin ich hier. Aber ich darf ja nichts wollen, haben Sie mir gerade gesagt.«
»Ganz recht. Doch glauben Sie, ein Leben erschaffen zu können, in dem Sie glücklich sind?«
»Unbedingt. Aber gehören da nicht immer zwei dazu?«
»Ist das wirklich so?«, sagte sie und hob erneut die Augenbrauen. Dann bemerkte sie meinen Kummer und gab selbst die Antwort. Dafür liebe ich sie. »Erst wenn Sie aufhören, Dinge zu wollen, die außerhalb Ihrer Kontrolle liegen, werden Sie glücklich sein.«
Das sagt sich so leicht. Da saß sie auf ihrer mauvefarbenen Couch, mit ihren perfekt manikürten Nägeln und dem hübschen Schal und ihrer Gesprächspartnerin, der es vermutlich deutlich schlechter geht als ihr selbst.
Wie kann ein Mensch nicht wollen? Man wird geboren – und will leben. Man heiratet – und will sich ein schönes Leben mit dem Partner aufbauen. Man bekommt Kinder – und will, dass sie leben, selbst wenn es anfangs manchmal so wirkt, als würden sie alles tun, damit ihnen möglichst rasch etwas Schlimmes zustößt. Später will man, dass sie glücklich sind und weiterleben – lange genug, um einem Enkel zu schenken. Und von denen will man natürlich auch, dass sie leben. Genau
genommen, sorgt man sich um deren Leben schon, bevor sie überhaupt geboren sind. Denn wie schrecklich wäre das für die Kinder, ihre eigenen Kinder zu überleben? Also will man, dass alle leben, man selbst mindestens bis man hundert ist. Dann will man noch Auto fahren, klar im Kopf sein, hübsche Apfelbäckchen und annehmbare Beine haben und dann irgendwann im Schlaf sterben. Man will so sein wie Katherine Hepburn. Und in der Zwischenzeit will man eine Berufung. Für die will man dann auch hart arbeiten – mit Talent und Erfolg. Wie soll das möglich sein, in einem menschlichen Körper auf dieser Welt unter Menschen zu leben und nichts zu wollen?
Leicht fällt das beispielsweise meinem märchenhaft berühmten, spirituell fortgeschrittenen Schriftstellerfreund. Den fragte ich in einem Brief: Wie kannst du dein Leben mit Schreiben verbringen, ohne zu wollen, dass man dich veröffentlicht?
Er antwortete darauf mit einem Anruf. Wenn das passiert, weiß ich, dass es wichtige Neuigkeiten gibt und ich mein drittes Auge weit aufreißen sollte. »Der einzige Unterschied zwischen veröffentlicht und nicht veröffentlicht zu werden«, sagte er, »ist das Veröffentlichtwerden.«
Schön, Herr Ich-treff-mich-dauernd-mit-den-Propheten-unserer-Tage-und-bekomme-säckeweise-Fanpost-und-spreche-auf-ausverkauften-Veranstaltungen. Ich hocke doch nicht den ganzen Tag im dämmrigen Zimmer auf meinem Hintern, Jahr für Jahr, Seite für Seite, schütte mein Herz aus, opfere mich, meine Bauchmuskeln, meine Oberschenkel der grausamen Kunst, den menschlichen Charakter zu formen, und das alles für nichts und wieder nichts! Ohne eine direkte Verbindung zwischen diesem düsteren Arbeitszimmer und den Nachttischen der Menschen in aller Welt zu wollen. Also bitte, man möge meinen Mangel an spiritueller Erleuchtung
verzeihen, aber für mich ist das nur eines: eine oberfaule Ausrede.
So oder so ähnlich dachte ich bis gerade vorhin.
Aber noch einmal zurück zu meinem Schriftstellerkollegen.
Ich erwiderte ihm: »Das Gemeine an der Sache ist, dass ich gut bin! Ich habe jahrelang an meiner Schreibe gefeilt, und kann daher mit Fug und Recht behaupten … dass ich gut bin! Und das sage nicht nur ich. Lektoren großer Verlagshäuser mögen meine Arbeit. Meine Agentin hat noch nie so positive Absagen bekommen. Aber ich habe keine ›Bühne‹, wie sie es nennen. Ich bin ein Niemand aus Montana.«
»Du musst einfach weiterschreiben. Denk nicht mehr übers Veröffentlichtwerden nach. Aber sei vorsichtig. Es bedeutet einen Riesenunterschied, ob man sich von etwas gelöst hat … oder bindungslos ist. Vor Letzterem
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