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19 Minuten

19 Minuten

Titel: 19 Minuten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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6. März 2007
    In neunzehn Minuten kann man den Rasen vor dem Haus mähen, sich die Haare färben, Brötchen backen, sich vom Zahnarzt eine Füllung machen lassen oder die Wäsche für eine fünfköpfige Familie zusammenlegen.
    Neunzehn Minuten dauert die Fahrt mit dem Auto von der Grenze Vermonts nach Sterling in New Hampshire. In neunzehn Minuten kann man einem Kind eine Gutenachtgeschichte vorlesen oder einen Ölwechsel machen lassen. Man kann eine Meile gehen. Man kann einen Saum nähen.
    In neunzehn Minuten kann man die Welt anhalten oder einfach von ihr abspringen.
    In neunzehn Minuten kann man Rache nehmen.
    Alex Cormier war spät dran, wie üblich. Zweiunddreißig Minuten dauerte die Fahrt von ihrem Haus in Sterling bis zum Kammergericht in Grafton County, New Hampshire, und das auch nur, wenn sie sich in Orford nicht ans Tempolimit hielt. Sie hastete auf Strümpfen nach unten, die Pumps in der einen Hand, die Akten, die sie übers Wochenende bearbeitet hatte, in der anderen. In der Diele drehte sie sich das volle, kupferrote Haar zu einem Knoten und steckte es im Nacken fest. Im Spiegel sah sie jetzt die Person, die sie draußen sein musste.
    Alex war seit genau vierunddreißig Tagen Richterin am Kammergericht. Nach fünf Jahren als Bezirksrichterin hatte sie geglaubt, der neue Posten würde ihr weniger Probleme bereiten. Aber mit vierzig war sie in ganz New Hampshire noch immer die Jüngste in ihrem Amt und musste nach wie vor beweisen, dass sie unparteiisch Recht sprach - bei einer ehemaligen Pflichtverteidigerin argwöhnten die Staatsanwälte stets, sie würde die Verteidigung bevorzugen. Alex war Richterin geworden, weil sie den ehrlichen Wunsch hatte, dafür zu sorgen, dass jeder Angeklagte bis zum Beweis seiner Schuld als unschuldig zu gelten hatte. Sie hätte nie geglaubt, dass ihr selbst dieses Recht nicht eingeräumt wurde.
    Frischer Kaffeeduft lockte Alex in die Küche. Ihre Tochter saß über eine dampfende Tasse gebeugt am Tisch und las in einem Schulbuch. Josie sah hundemüde aus - ihre blauen Augen waren gerötet, die kastanienbraunen Haare zu einem unordentlichen Pferdeschwanz gebunden. »Bitte sag mir, dass du nicht die ganze Nacht auf warst«, sagte Alex.
    Josie hob nicht einmal den Blick. »Ich war nicht die ganze Nacht auf«, gehorchte sie.
    Alex goss sich einen Kaffee ein und setzte sich auf den Stuhl gegenüber ihrer Tochter. »Ehrlich?«
    »Ich hab gesagt, was ich sagen sollte«, erwiderte Josie. »Du hast nicht nach der Wahrheit gefragt.«
    Alex runzelte die Stirn. »Du solltest keinen Kaffee trinken.«
    »Und du solltest nicht rauchen.«
    Alex spürte, wie sie rot wurde. »Ich hab nicht -«
    »Mom«, seufzte Josie, »auch wenn du das Badezimmerfenster aufmachst, ich riech es an den Handtüchern.«
    Alex zog es vor, das Thema nicht weiter zu vertiefen. Immerhin war das Rauchen ihr einziges Laster. Für mehr hatte sie überhaupt keine Zeit. Sie wünschte, sie hätte mit Gewissheit sagen können, dass auch Josie keine Laster außer einer Tasse Kaffee zuviel am Tag hatte. Aber damit würde sie nur den gleichen voreiligen Schluss ziehen wie alle, die Josie kennenlernten: eine hübsche, beliebte Musterschülerin, die besser als die meisten wusste, welche Folgen es haben konnte, vom Pfad der Tugend abzuweichen. Ein Mädchen, das es mal weit bringen würde. Eine junge Frau, die genauso war, wie Alex sich ihre Tochter gewünscht hatte.
    Noch ein paar Jahre zuvor war Josie unglaublich stolz gewesen, eine Richterin zur Mutter zu haben. Sie ließ keine Gelegenheit aus, den Beruf ihrer Mutter zu erwähnen, und wollte immer alles über Alex' Prozesse und Urteile wissen. Aber das hatte sich vor drei Jahren geändert, als Josie auf die Highschool gekommen und die Kommunikation zwischen ihnen immer spärlicher geworden war. Alex glaubte nicht unbedingt, dass Josie ihr mehr verheimlichte als irgendein anderer Teenager seiner Mutter, aber es gab einen wesentlichen Unterschied: Die anderen Mütter konnten die Freunde ihrer Kinder nur im übertragenen Sinne verurteilen, Alex dagegen konnte es im juristischen Sinne.
    »Was steht heute bei dir an?«, fragte Alex.
    »Klausur. Und bei dir?«
    »Haftprüfungen«, erwiderte Alex. Sie warf einen Blick auf Josies Schulbuch. »Chemie?«
    »Katalysatoren.« Josie rieb sich die Schläfen. »Substanzen, die chemische Reaktionen beschleunigen, aber unverändert bleiben. Wenn du zum Beispiel Kohlenmonoxid und Wasserstoff nimmst und Zink und Chromoxid untermischst, dann

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