Ein Sonntag auf dem Lande
Horizont den weißen Rauch des kleinen Zugs, der zehn Minuten später in Saint-Ange-des-Bois ankommen würde. Monsieur Ladmiral wartete bei klarem Wetter immer gespannt auf dieses Zeichen, um sich für den Aufbruch fertig zu machen. Er glaubte, so Zeit zu gewinnen, doch in Wirklichkeit verlor er welche, indem er den Horizont absuchte. Aber da er ohnehin mehr als zehn Minuten bis zum Bahnhof brauchte …
Diesmal brach er zudem zu spät auf. Als Mercédès ihn aus dem Haus gehen sah, ignorierte sie seinen herausfordernden Blick und zuckte nicht einmal mit den Schultern. Fünfhundert Meter vom Bahnhof entfernt begegnete Monsieur Ladmiral den ersten Reisenden, beladen mit diesen Sonntagspaketen, die noch sperriger als richtige Reisekoffer waren, aber er tat so, als bemerkte er sie nicht. Ein Stück weiter und in geringer Entfernung zum Bahnhof entdeckte er seinen Sohn, dessen Frau und die drei Kinder.
Gonzague trug Bart, einen dünnen schwarzen Vollbart. Monsieur Ladmiral, der sein ganzes Leben Bart getragen hatte, mochte den seines Sohnes nicht. In seinem Alter war das lächerlich, niemand trug heute mehr Bart. Wen wollte er damit nachäffen? Monsieur Ladmiral wusste das wohl. Und warum gab er sich eine falsche Künstlerattitüde, wo er doch … nun ja.
Monsieur Ladmiral war auf der Straße stehen geblieben und hob die Arme zum Himmel, als Geste des Erstaunens und des Willkommens. Er bewegte sich nicht, als ob eine geheime Protokollvorschrift ihm verboten hätte, die letzten Schritte zu tun. Bald hatten Gonzague und seine Familie Monsieur Ladmiral erreicht, ohne dass sie, nicht einmal die Jungen, Eile an den Tag legten, obwohl Gonzague zu ihnen gesagt hatte:
»Nun macht schon, schnell! Bewegt euch ein bisschen. Seht ihr denn Großvater nicht?«
Aber die Kinder, Emile und Lucien, Jungs von vierzehn und elf Jahren, waren wild entschlossen, sich nicht zu verausgaben, und zogen seit dem Morgen ein Gesicht. Wie jeden Sonntag, wenn sich die Familie aufmachte, Großvater zu besuchen. Man musste fast so früh aufstehen wie an einem Wochentag (während die Freunde, die keinen Großvater hatten, bis zehn Uhr im Bett bleiben durften), Sonntagskleider anziehen, die anfällig für Flecken und Risse waren, zum Bahnhof laufen und auf einer hölzernen Sitzbank in einem vollen Abteil Platz nehmen. Man bekam eins auf die Finger, wenn man mit dem Schloss spielen wollte, und durfte dem Herrn gegenüber nicht in die Beine treten – und das alles, um endlich einen sehr netten Großvater (mit einem solchen Bart!) zu treffen, der auf dem Land lebte und der, weil er einen so oft sah, davon abgekommen war, Geschenke zu machen. Ganz zu schweigen, dass Mireille, die Jüngste, ein reizendes kleines Mädchen von fünf Jahren, Eisenbahnfahrten nicht vertrug, nach der ersten Viertelstunde blass wurde und sich schließlich, erschöpft von den Durchhalteparolen ihrer Mutter, auf den Boden oder den Nachbarn erbrach. Gonzague-Edouard und seine Frau überschlugen sich dann mit Entschuldigungen. Man musste den gröbsten Schaden mit Taschentüchern und Zeitungen beseitigen, und die Sitznachbarn erklärten mit deutlichem Widerwillen, dass das doch nicht von Belang sei und man bei Kindern nie wisse, während die Eltern mit gesenkter Stimme unter sich die Frage erörterten, von wem die Kleine das wohl haben könne, diese aber bald fallen ließen, denn sie wussten seit Langem, dass es darauf keine Antwort gab. Daraufhin schlief Mireille, die immer noch grün im Gesicht war und den Mund verzog, in den Armen ihrer Mutter ein. Sie war erschöpft, schämte sich ein wenig und fragte sich, warum sie sich auf jeder Reise übergab und die anderen Fahrgäste nicht.
Als die Familie Großvater auf der Straße erblickte, war die kleine Mireille noch ganz verschlafen und genauso schlechter Laune wie ihre Brüder. Man verlangte nicht von ihr zu laufen, da sie schon Mühe hatte zu gehen und, ihre Hände in die der Eltern geschmiegt, vor sich hin trödelte. Ungeduldig wartete sie auf den Moment, da der Weg im Dorf anstieg: Sie würde sich schwer machen und dann scheinbar unauffällig aufstöhnen, genau so lange (und das war immer, sobald sie die Post erreicht hatten), bis ihr Vater sie auf den Arm nahm, um die Strecke hinter sich zu bringen.
Monsieur Ladmiral empfing die Familie herzlich und schüttelte die Hand seines Sohnes und seiner Schwiegertochter Marie-Thérèse. Er bückte sich, um die Kinder zu umarmen, und freute sich, sie zu sehen, zumindest in den ersten
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