Ein Sonntag auf dem Lande
»Solange sich Monsieur nicht wie ein Krebs im Rückwärtsgang bewegt, hat Monsieur immer eine Chance, den Zug zu erreichen.«
»Zunächst einmal«, grummelte Monsieur Ladmiral, »bewegen sich Krebse nicht rückwärts.«
»Das mag stimmen«, antwortete Mercédès. »Monsieur kennt sich da besser aus als ich, aber Monsieur hat mich sehr gut verstanden.«
Monsieur Ladmiral regte sich darüber auf, so schnell einen Streit zu beenden, der so gut begonnen hatte. Aber mit Mercédès lief das immer so. Kaum hatten ein oder zwei Entgegnungen die Debatte in Gang gebracht, verlief sie im Sande. Oder aber Monsieur Ladmiral zügelte sich und verzichtete darauf weiterzumachen, weil es unter seiner Würde lag, sich mit seinem Dienstpersonal einzulassen. Oder aber – und das passierte häufiger – Mercédès machte kurzen Prozess mit einer dieser Repliken, die dem Streit den Wind aus den Segeln nehmen. Monsieur Ladmiral war von seiner Frau her an eine sehr gebildete und genaue Debattierkunst gewöhnt: minuziös, erschöpfend, ja beinahe luxuriös in ihrem Aufwand an Nachforschungen und Ausschmückungen. Eine etwas altmodische Streitkultur vielleicht, aber reich und gepflegt, und sie besaß Stil. Keines seiner Kinder hatte von dieser mütterlichen Gabe etwas abbekommen, und Monsieur Ladmiral hatte sich, als er Witwer geworden war, sehr allein gefühlt. Auch Mercédès war ihm nicht ebenbürtig, und in Anbetracht dieses unzulänglichen Gegenübers fühlte sich Monsieur Ladmiral als Verlierer, selbst wenn er siegreich war. Wenn Mercédès einen Schlussstrich unter eine schön lebhafte Debatte setzte, fühlte er sich unwohl, nervös und gereizt, die Kehle verstopft mit Argumenten, Klagen, bloßen Worten, die sich bedrängten, anrempelten, die es nicht schafften, weder nach oben zu gelangen noch in der Versenkung zu verschwinden – wie eine Menschenmenge, die stehen bleibt –, und die ihm die Luft nahmen.
»Ich erinnere Monsieur daran, dass Monsieur und Madame Edouard um zehn Uhr fünfzig ankommen«, sagte Mercédès an diesem Morgen. Es war Sonntag.
»Na und, was soll das heißen?«, sagte Monsieur Ladmiral. »Ich werde um zwanzig vor losgehen«, schloss er in einem schrofferen Tonfall. »Und ich füge hinzu, dass Monsieur Edouard Gonzague heißt, was schon mehr hermacht.«
Monsieur Ladmirals Sohn hieß tatsächlich Gonzague. Aber als er heiratete, hatte seine Frau Angst vor diesem Vornamen und wählte seinen zweiten – Edouard – aus, der bestärkend auf sie wirkte. Monsieur Ladmiral hatte diese zweite Taufe nie akzeptiert.
»Gonzague oder nicht«, sagte Mercédès, »diese Leute kommen um zehn Uhr fünfzig an.« Und sie fügte hinzu: »Dass Monsieur sich nicht stören lässt!«
Die Szene spielte sich in der Küche ab. Monsieur Ladmiral, der gerade aufgestanden war, trug einen Schlafanzug mit breiten grünen Streifen. Die Hosenbeine waren über dem Knie wie ein Turban zusammengerollt und enthüllten zwei magere Beine. Die nackten Füße steckten in großen Halbschuhen, die nicht zugeschnürt waren. Monsieur Ladmiral, einen Fuß auf einem Hocker, brachte seine Schuhe auf Hochglanz, als Mercédès ihn bat, sich ja nicht stören zu lassen, und den Hocker zu sich heranzog. Er musste sich, ohne seine Bürste loszulassen, in Sicherheit bringen, indem er quer durch die Küche humpelte, um ein wenig weiter entfernt seinen Fuß auf den Rand des Spülbeckens zu stellen. Alsbald hatte Mercédès am Spülbecken zu tun und kam näher.
»Dass Monsieur sich nur nicht stören lässt«, setzte sie wieder an und nahm erneut ihre Jagd auf Monsieur Ladmiral auf. Scheinbar planlos durchquerte sie das Zimmer von hier nach dort. In Wirklichkeit war ihr Weg derart ausgeklügelt, dass er von einer Sekunde auf die andere genau an die Stelle führte, wo der immer noch hinkende Monsieur Ladmiral gerade aufgetaucht war und vornübergebeugt seinen Schuh polierte.
Mercédès, die nicht aufhörte, ihrem Herrn nachzustellen, warf ihn schließlich aus der Küche. Es handelte sich um eine große, sehr saubere und gut ausgestattete Landhausküche, in der sich Mercédès, wie es sich gehört, lieber allein aufhielt. Monsieur Ladmiral kehrte in sein Badezimmer zurück, wie er, nicht ganz ohne Grund, einen gekachelten und auslackierten Raum nannte, der mit einer Wanne und einem Badeofen geschmückt war. Doch Monsieur Ladmiral badete nie; er hatte seine Kindheit, seine Jugend und seine reiferen Jahre in einer Zeit und in Häusern verbracht, wo man
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