Ein stuermischer Retter
es kommt, dass eine vornehme junge Dame aus England ganz allein und hungrig in französischen Dünen nächtigt, jedem dahergelaufenen Bösewicht hilflos ausgeliefert." Er sprach bewusst so unverblümt, um erst gar keinen falschen Stolz aufkommen zu lassen. Es durfte nicht geschehen, dass sie so weitermachte. Nicht auszudenken, was in der letzten Nacht passiert wäre - hätte sie ihn nicht entdeckt. Das Schlimmste hatte er verhindern können, doch unvorstellbar, wenn er nicht in der Nähe gewesen wäre! „Keiner von uns wird verbreiten, was Sie uns erzählen. Sie haben mein Ehrenwort."
Sie senkte den Kopf. „Danke", murmelte sie. „Ich nehme an, die Geschichte wird in wenigen Wochen ohnehin in London in aller Munde sein ..." Sie hielt ihre bloßen Füße näher an das wärmende Feuer. Die schmalen, zierlichen Füße waren von Blasen übersät. Von verheilenden Blasen, wie Nick sah, aber trotzdem! Er nahm sich fest vor, bei der nächstbesten Gelegenheit etwas gegen diese großen, hässlichen Stiefel zu unternehmen.
Als es so aussah, als wollte sie nichts mehr sagen, drängte er: „Los, reden Sie! Wie zum Teufel sind Sie in diesen Schlamassel geraten?" Sie hob den Kopf und bedachte ihn mit einem kühlen Blick. Er versuchte, seinen Tonfall zu mäßigen, damit er sich nicht so anhörte wie bei einem Gefangenenverhör. „Ich meine, wer ist verantwortlich für Ihre gegenwärtige missliche Lage?"
Sie zuckte die Achseln. „Daran bin ich ausschließlich selbst schuld."
Nick runzelte die Stirn. Seiner Erfahrung nach waren an den meisten Problemen der Menschen andere schuld. „Wie das?"
Sie zögerte. „Ich hatte mich verliebt." Einen Moment lang sah es so aus, als wollte sie es dabei belassen. Nick schickte sich schon an, sie zum Weiterreden aufzufordern, doch sie kam ihm zuvor. „Ich hatte mich in England verliebt, aber er war - nun, ich dachte, er wäre ein ungarischer Geigenspieler. Er bat mich, ihn zu heiraten, mit ihm durchzubrennen! Und ... und das ... tat ich dann auch."
„Ich verstehe." Verdammt törichte Vorstellungen von Romantik, dachte Nick im Stillen.
Stevens fluchte halblaut. „Haben Sie denn gar nicht an die Schande gedacht, Miss?" Sie sah ihn reumütig an. „Das ist mir gar nicht in den Sinn gekommen, Stevens." „Aber warum denn nicht, Miss? Sie mussten doch wissen, was die Leute sagen würden!"
„Nein", widersprach sie schlicht. „Wissen Sie, durchzubrennen hat in meiner Familie eine gewisse Tradition. Meine Mutter und mein Vater sind nach Italien durchgebrannt, um dort zu heiraten." Sie schlang die Arme um ihre Knie, und ihre Stimme klang traurig. „Sie waren bis ans Ende ihres Lebens ineinander verliebt ... " Das Feuer knisterte, und irgendwo in der Ferne stritten zwei Möwen lautstark um etwas Essbares.
„Sie sagten, Sie hätten ihn für einen ungarischen Geigenspieler gehalten", hakte Nick nach. „War er das denn nicht?"
„Nein! Nun ja, Geigenspieler ist er, ein außergewöhnlich begabter sogar, aber er kam gar nicht aus Ungarn! Er war Bulgare!"
Nick runzelte ein weiteres Mal die Stirn. „Und das machte Ihnen etwas aus - dass er Bulgare war?"
„Nein, natürlich nicht. Was mir etwas ausmachte war die Tatsache, dass er fünf Kinder hatte. Fünf!"
„Fünf Kinder?" Er nickte. „Das ist eine ganze Menge, da muss ich Ihnen zustimmen. Ich vermute, Sie mögen Kinder nicht besonders."
„Natürlich mag ich Kinder. Ich liebe Kinder! Das Problem waren nicht die Kinder." „Was dann?" Er war verwirrt.
„Er war verheiratet. Seine Frau und seine Kinder leben in Bulgarien. Er hatte mich angelogen."
„Als er sich also weigerte, Sie zu heiraten ... "
„Aber er hat mich geheiratet! Ohne Trauschein hätte ich niemals mit ihm zusammengelebt. So verkommen bin ich denn nun doch nicht."
Nick beugte sich nach vorn. „Aber Sie sagten doch eben ..."
„Die Sache ist, ich glaubte, wir hätten geheiratet." Ihr Tonfall war eine Mischung aus Trostlosigkeit und Zorn. „Er täuschte die Hochzeit nur vor."
„Wie zum Teufel hat der Bast...?" Nick sprach das Wort nicht aus und versuchte es erneut. „Wie, hm, täuscht man eine Hochzeit vor?"
„Er bestach einen Geistlichen, die Kirche benutzen zu dürfen, und brachte einen Freund dazu, sich als Pfarrer zu verkleiden und die Trauung vorzunehmen."
Nick ballte unbewusst die Fäuste. Am liebsten hätte er den Kerl erwürgt. „Wie erfuhren Sie von dem Betrug?"
Faith seufzte. „Wir waren genau einen Monat verheiratet, und ich wollte irgendetwas
Weitere Kostenlose Bücher