Spätkontrolle aufschlussreich
1.
»Wenn schon, denn schon, Normans! Denken Sie! Denken Sie schnell und folgerichtig, denn das unterscheidet Sie vom Tier. Also …?«
Moris J. Normans drehte mühevoll den Kopf. Die Feuchtigkeitsspuren im Innern seines geschlossenen Druckhelms waren verschwunden. Sein Körper, der noch vor zwei Stunden in der eigenen Verdunstungsfeuchtigkeit gesotten zu werden drohte, hatte das Stadium der beginnenden Dehydrierung erreicht. So sagten unsere Experten zu dem Vorgang des allmählichen Austrocknens innerhalb eines Raumanzugs, dessen Lebenserhaltungssystem im Bereich der Klimatisierung versagt.
Ich kannte die Situation aus eigener Erfahrung. Männer, die es infolge von Selbstüberschätzung wagten, freiwillig in das GWA-Ausbildungscamp »Höllentor« zu kommen, hatten für den Entschluß bitter zu büßen.
Niemals war ich so geschunden und gequält worden wie in diesem Teil der Sahara. Hier, inmitten der ehemals gigantischen Wüste, nahe dem Hamada el Haricha-Gebirge, betrieb die Geheime Wissenschaftliche Abwehr ein Fitneß-Programm, das unter Eingeweihten als das härteste und gefährlichste der Welt galt. Hier wurden sportlich gestählte, bestens trainierte Männer zu weinenden Kindern – oder auch zu psychisch zerbrechenden Geschöpfen. Es gab nichts, was im Camp »Höllentor« nicht schon geschehen wäre.
Captain Normans war ein Hüne von 1,92 Meter Körperlänge. Seine ausgeprägte Muskulatur war sogar unter dem Material des Druckanzugs zu erkennen.
Sein kurzgewelltes, dunkelblondes Haar hing in der Stirn, aber er besaß keine Hilfsmittel mehr, die darin klebenden Salzkristalle zu entfernen. Sie lösten sich zum Teil in den letzten Spuren seines Augenwassers auf, aber das genügte, um ihn noch mehr zu quälen.
Er wälzte sich wieder auf die Seite und versuchte, den Notkontaktschalter an der unteren, rechten Kante des Rückentornisters zu erreichen.
Als er den Arm nach hinten krümmte, quoll seine Schultermuskulatur stark hervor und verhärtete im typischen Krampfzustand.
Aus meinem Visiphon drang sein qualvolles Stöhnen. Das Gesicht verzerrte sich heftiger und war kaum noch zu erkennen.
Major Skupin, berühmt-berüchtigter Trainer im Sahara-Camp »Höllentor«, spie den verdorrten Grashalm aus, auf dem er eine halbe Stunde lang herumgekaut hatte.
»Eine Fehlkonstruktion«, stellte er fest. Seine gelben Pferdezähne zernagten die Unterlippe. »Eine glatte Fehlkonstruktion! Der Notschalter gehört an das vordere Halsstück oder mindestens an die Kampfgürtelschnalle. Männer im beginnenden Minus- Koma könnten ihn sonst nicht mehr erreichen.«
»Er hat beim Ausfall der Klimaanlage mindestens zwanzigmal auf den Notschalter gedrückt, Skupin«, korrigierte ich den Mann, den wir unter uns »Höllenhund« nannten. »Das beweist, daß die Mikro-Speicherbank beim Ausfall des Hauptaggregats angelassen werden kann.«
Skupin fuhr sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen. Er hatte häufig und reichlich Wasser getrunken. Normans hatte es sehen können. Diese psychische Qual gehörte zu Skupins Programm. Ich hatte sie beim Höllenmarsch durch die Wüste im Dezember 2003 als bestialisch empfunden. Skupin und sogar viele Wissenschaftler waren anderer Meinung.
»Noch hat er Luft«, überlegte Skupin laut. »Heiße Luft, aber er kann atmen.«
»Und wie er atmen kann«, regte ich mich auf. »Er liegt in der prallen Sonne, und unter seinem Körper befindet sich hocherhitztes Gestein. Das bedeutet einen Temperaturanstieg im Sauerstoffaufbereiter von etwa sechsundfünfzig Grad Celsius. Die Wasserförderpumpe arbeitet
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