Ein süßes Abenteuer
auf den Boden gerichtet, ging Neville seine zehn Schritte. Nach dem letzten Schritt wandte er sich um, wobei er sich den Regeln gemäß seitlich zu seinem Gegner hinstellte, den Arm hob und wartete, bis er Lord Burnsides Zeichen sah. Ehe es jedoch dazu kam, zuckte Latimer, den inzwischen die nackte Angst gepackt hatte, vorzeitig mit dem Finger am Abzug seiner Pistole. So löste sich mitten in seiner Drehung ein Schuss. Die seitwärts abgelenkte Kugel verfehlte Neville und traf stattdessen Frank Hollis in die Brust, der blutend zu Boden sank.
Fassungslos starrte Henry Latimer auf sein Opfer. Nun war er in dreifacher Hinsicht verloren. Neville stand das Recht zu, einen Schuss abzugeben. Vielleicht würde er in die Luft schießen, vielleicht aber auch nicht, doch er, Henry, würde so oder so sterben. Da er anstelle seines Gegners Frank Hollis getroffen hatte, würde er sich wegen Mordes oder versuchten Mordes vor Gericht verantworten müssen. Ihn erwartete der Galgen oder allermindestens der gesellschaftliche Tod.
Unwillkürlich stieß er einen lauten Verzweiflungsschrei aus. Im nächsten Augenblick, gerade als Neville in die Luft schoss, warf er seine Pistole fort und rannte so schnell ihn seine Füße trugen auf seine Kutsche zu. Ihn trieb nur noch ein einziger Gedanke an: England zu verlassen, ehe die Konstabler ihn fassten!
Er konnte von Glück sagen, dass Neville und die Sekundanten sich ausschließlich mit Frank beschäftigten. Unter diesen Umständen machten sie keine Anstalten, Latimer an der Flucht zu hindern. Vermutlich wird er versuchen, nach Frankreich zu entkommen, sagte sich Neville. Solange er nur irgendwo im Ausland bleibt, wo er nicht länger den Frieden und die Sicherheit seiner Heimat bedroht, habe ich nichts dagegen.
Jackson traf gerade rechtzeitig in Putney Heath ein, um zu beobachten, wie Latimer in Richtung London davonpreschte. Sofort wurde ihm klar, dass dies nichts Gutes verhieß, also bemühte auch er sich nicht lange, den Flüchtenden aufzuhalten. Vielmehr eilte er besorgt zu der Gruppe hinüber, die sich um Frank Hollis kümmerte. In der Zwischenzeit hatte Neville sein Hemd ausgezogen, um damit die Blutung so gut es ging zu stillen. Als er Jackson sah, rief er: “Sie kommen wie gerufen! Bitte helfen Sie uns, Frank zu einem Arzt zu bringen, er verliert sehr viel Blut. Oder noch besser, holen Sie einen Arzt herbei.”
“Meine Droschke steht gleich dort drüben”, erklärte Jackson, ohne sich seine Überraschung anmerken zu lassen. “Vielleicht kennt der Kutscher irgendeinen Arzt hier in der Nähe. Aber bevor ich ihn frage, möchte ich gerne wissen, wieso Mr. Hollis getroffen wurde. Schließlich sollte er sich nicht duellieren.”
“Dieser Dummkopf Latimer – zumindest hoffe ich, dass es Dummheit war und nicht Bosheit – hat seine Pistole zu früh abgefeuert, noch während er sich bewegte”, antwortete Lord Burnside. “Leider stand Mr. Hollis genau in der Schusslinie. Sir Neville schoss daraufhin in die Luft. Würden Sie bitte zuallererst einen Blick auf Mr. Hollis’ Wunde werfen?”
“Soso, in die Luft”, bemerkte Jackson lächelnd. Wie er feststellte, hatte Frank Glück gehabt. Dank des behelfsmäßigen Verbands ließ die Blutung nach, und somit würde er wahrscheinlich durchkommen.
Als Jackson zu seiner Droschke zurückkehrte, bemerkte er einen Phaeton hinter den anderen Fahrzeugen. Darin saß niemand anders als die Duchess of Medbourne, obwohl er sich beim besten Willen nicht erklären konnte, wie sie von dem Duell erfahren hatte.
“Geht es ihm gut?”, rief sie besorgt.
Unnötig zu fragen, wen sie meinte. Doch ehe Jackson ihr antwortete, trug er dem Kutscher seiner Droschke auf, aus der Nachbarschaft einen Arzt herbeizuholen.
“Ja, aber Mr. Latimer hat durch ein dummes Versehen – nennen wir es gnädigerweise so – statt seiner Frank Hollis niedergeschossen.”
“Und wie geht es dem?”
“Falls ihn bald ein Arzt behandelt, wird er es überstehen.”
“Glauben Sie, ich sollte lieber wieder nach Hause fahren?”
Nach kurzem Zögern sagte Jackson: “An Ihrer Stelle würde ich nicht gerade zu Sir Neville hinübergehen, aber ich halte es für keine schlechte Idee, wenn Sie hier auf ihn warten. Vermutlich wird Ihre Gesellschaft beruhigend auf ihn wirken. So wie ich ihn kenne, fühlt er sich bestimmt für Mr. Hollis’ Verwundung verantwortlich, und Sie könnten ihn auf dem Heimweg beschwichtigen, indem Sie hin und wieder ‘Aber nein’ und ‘Unsinn’
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