Ein süßes Abenteuer
horchte Neville auf. “Wie soll ich das verstehen?”, fragte er langsam.
“Ganz wie du willst. Komm einfach mit und finde es selbst heraus.”
Früher am Abend hatte Neville beobachtet, wie Bobus und Henry Latimer in einer Ecke des Ballsaals ein paar Worte wechselten. Ob Bobus’ überraschende Einladung wohl damit zusammenhing? Vielleicht sollte er sie lieber nicht annehmen, immerhin hatte Jackson ihn ausdrücklich zur Vorsicht ermahnt. Andererseits – wenn tatsächlich Latimer dahintersteckte, sollte er Watier’s unbedingt aufsuchen, sosehr ihm dieser Ort auch missfiel.
“Also schön, aber nicht sofort. Im Augenblick widme ich mich noch der Duchess und ihrer Gesellschafterin. Hol mich später ab.”
“Gegen Mitternacht?”, schlug Bobus erfreut vor. Ihm fiel ein Stein vom Herzen, weil er hiermit seine Pflicht erfüllt hatte.
“Einverstanden.”
Wie Neville wusste, pflegte Diana jedes Fest früh zu verlassen. “Eine meiner wenigen guten Angewohnheiten”, hatte sie ihm einmal erklärt. “Es heißt ja immer, der Schlaf vor Mitternacht sei der gesündeste.”
Kurz vor zwölf Uhr verabschiedete er sich von ihr, ohne ihr von seinem geplanten Besuch bei Watier’s zu erzählen. Noch wusste er nicht mit Sicherheit, ob der Vorschlag von Henry Latimer ausging, und wenn ja, was ihn im Club erwartete.
Nichtsdestotrotz klangen seine Abschiedsworte ernster, als er eigentlich beabsichtigte, so ernst sogar, dass Diana sich ein wenig wunderte. Plötzlich erschien er ihr wieder genauso steif wie bei ihrer ersten Begegnung. Vielleicht war er aber auch bloß müde.
Neville bereute bereits, dass er Bobus zugesagt hatte, nur fiel ihm keine Ausrede ein, um jetzt noch einen Rückzieher zu machen. Bei Watier’s herrschte wie üblich ein großes Gedränge. Tabakqualm und Alkoholdunst sorgten für stickige Luft. Als Bobus vorschlug, zwei Partner für eine Partie Whist zu suchen, lehnte Neville sofort ab. Gerade wollte er sich nach der wichtigen Information erkundigen, die ihn hier angeblich erwartete, da kam Henry Latimer mit einem Glas Portwein in der Hand auf ihn zu.
Während er Neville ein süffisantes Grinsen zuwarf, bemerkte er laut und vernehmlich: “Nanu, dich sieht man doch sonst niemals hier, Neville. Lässt die Duchess of Medbourne dich heute Nacht nicht in ihr Bett? Hat der Überfall neulich bei dem Protestmarsch sie so sehr mitgenommen?” Lachend wandte er sich seinen Zechbrüdern zu, die sich um ihn scharten und seine Zote mit spöttischem Gelächter quittierten.
Plötzlich stieg eine ungeheure Wut in Neville hoch, wie er sie noch nie in seinem Leben verspürt hatte. In blindem Zorn ballte er die Faust und versetzte Latimer einen Schlag mitten ins Gesicht, sodass dieser zurücktaumelte. Wenn seine Freunde ihn nicht aufgefangen hätten, wäre er zu Boden gestürzt.
Es entstand ein spannungsgeladenes Schweigen. Insgeheim freute sich Latimer, dass sein Plan so aufging, denn nun saß Neville in der Falle. “Da du offenbar keinen Spaß verstehst, tue ich es auch nicht”, stieß er keuchend hervor. “Ich fasse dies als Forderung zu einem Duell auf. Morgen früh, bei Putney Heath. Als Waffen wähle ich Pistolen. Bestimme deine Sekundanten.”
Die einigermaßen Nüchternen unter den Anwesenden schockierte hauptsächlich die Tatsache, dass Latimer soeben eine Dame beleidigt hatte, und zwar auf besonders widerwärtige Weise. Die anderen – diejenigen, die kaum noch aufrecht stehen konnten – fanden die Situation höchst amüsant. Erst vor wenigen Wochen hatte man Fortescue sternhagelvoll von der Straße aufgelesen, und nun wurde er auch noch der Unzucht mit einer Duchess beschuldigt! Im Grunde geschah es diesem aufgeblasenen Tugendbold ganz recht, wenn er als Heuchler entlarvt wurde.
Am allermeisten staunte Neville selbst. Er konnte es noch gar nicht fassen, dass er Henry für seine abscheuliche Verleumdung niedergeschlagen hatte und dass er sich in wenigen Stunden duellieren sollte. Zur Furcht hatte er allerdings gar keine Zeit, da es nun galt, rasch zwei Sekundanten zu finden.
Als er den Blick durch das Zimmer schweifen ließ, entdeckte er Frank Hollis. Nicht gerade sein Wunschkandidat, aber er hatte keine Wahl. Nach kurzem Zögern erklärte Frank sich bereit, Neville beizustehen, immerhin schuldete er ihm noch einen Gefallen. “Selbstverständlich, Neville, gerne”, log er. Dabei konnte er kein Blut sehen. Ihm graute vor der bevorstehenden Begegnung, auch wenn er selbst keine Pistole abfeuern
Weitere Kostenlose Bücher