Ein Tag im Maerz
sich über scharf geschnittene Knochen.
»Ja, ja, schon gut! Wenn er rauskommt, dann machen wir ihm Druck. Ich hab’s ja kapiert.« Keon antwortete leise, beinaheknurrend, und fragte sich gleichzeitig, ob es schon zu spät war, um die Sache abzublasen.
»Und treib’s bloß nicht zu weit, klar? Wir wollen dafür keinen Ärger kriegen. Tu nur, was du tun musst, damit der kleine Scheißer uns in Ruhe lässt, okay?«, fuhr Steve fort. Er steckte sich eine Zigarette zwischen die schmalen Lippen und zündete sie mit einem Zippo an. Seine Augen sahen aus wie Satellitenschüsseln, riesig und wässrig. Fadenförmige Blutgefäße überzogen seine Augäpfel und machten aus dem Weiß ein helles Rosa.
»Natürlich tue ich ihm nichts. Für wen hältst du mich eigentlich?«, fragte Keon und fuhr unbewusst mit dem Zeigefinger über das kühle, glatte Metall, das ihm vom Bund seiner Boxershorts gegen den Bauch gedrückt wurde. Sein Herz begann wieder heftiger zu schlagen. Gut, er hatte vielleicht nicht vor, Ricky Watson etwas anzutun, aber er wusste, dass das, was sie planten, eindeutig falsch war, genau die Sorte Mist, die seine Mutter veranlassen würde, noch öfter in die Kirche zu gehen und noch mehr zu heulen.
Was er alles anstellte, ohne dass sie Wind davon bekam, war schon unglaublich. Jedes Mal, wenn er daran dachte, schauderte er vor Schuldbewusstsein. Wie oft kam er komplett zugedröhnt nach Hause. Wenn ihn dann der Heißhunger überfiel, nickte seine Mutter, lächelte stolz und sagte etwas in der Richtung, er sei »im Wachstum«, während er Nudeln in sich hineinstopfte, bis er fast platzte.
Keon war es immer gelungen, echten Schwierigkeiten aus dem Weg gehen, aber trotzdem mit den üblen Typen herumzuhängen. Er stand immer dabei, lachte über die richtigen Witze und trug die richtige Kleidung, doch irgendwie schaffte er es, sich niemals die Hände schmutzig zu machen. Insgeheim war er stolz, dass er zu der respektiertesten Gang der Schule gehörte, und ihm taten die Mitschüler leid, die ihre Gesichter hinter dichten Ponys versteckten und ihre Unsicherheiten in ihren abgegriffenen, schweren Rucksäcken mit sich herumtrugen.
In letzter Zeit hatte allerdings jeder in der Gang Keon gedrängt, mal etwas Größeres zu machen. Er hatte das Gefühl, dass sie ihn durchschauen würden, wenn er sich weigerte. Und wenn sie ihn durchschauten, dann würden sie ihn rauswerfen, und dann hätte er keine Freunde mehr. Ihm war klar, dass er jedes bisschen Respekt, den er von den Jungs bekommen konnte, dringend nötig hatte, und heute Abend würde er sich Respekt verdienen. Danach konnte er wieder untertauchen und sich aus dem irrsinnigen Machtkampf raushalten, der zwischen den meisten Jungen im Fairgrove Estate und an der Elm Highschool herrschte. Er wäre bekannt als derjenige, der Ricky Watson dazu gebracht hatte, für immer den Kopf einzuziehen. Der dafür gesorgt hatte, dass die Kämpfe aufhörten, indem er ihm so viel Angst machte, dass er klein beigab.
Auch wenn er Ricky heute Nacht nur einschüchtern sollte – so etwas Aggressives hatte er noch nie getan. Doch Keon hasste Ricky von ganzem Herzen. Ricky hatte nicht nur zahlreiche von Keons Freunden verprügelt, sondern hatte zu guter Letzt auch noch Steves kleiner Schwester das Taschengeld abgenommen. Das war zu viel. Ricky hatte das verdient, was ihm nun blühte. Heute Nacht würde Keon Hendry ihm seine Grenzen zeigen, und niemand würde sich je wieder mit Keon anlegen. Er wollte nur dafür sorgen, dass sich seiner Gang gegenüber niemand mehr etwas herausnahm, und dann konnte er es vielleicht alles hinter sich lassen. Aufs College gehen und sich auf den Abschluss konzentrieren. Danach vielleicht sogar die Universität besuchen, ganz wie seine Mutter es sich schon so lange wünschte.
»Wann kommt er denn überhaupt? Es wird ganz schön spät, oder?«, fragte Keon mit einem Blick auf das Zifferblatt seiner riesigen, mit falschen Diamanten besetzten Uhr. Er hoffte imStillen noch immer, dass er aus der Sache herauskam. Die ersten Tropfen fielen vom Himmel.
23.35 Uhr.
»Nee, nee, alles cool«, erwiderte Steve und trat seinen Zigarettenstummel aus. Der Kies knirschte laut unter seiner Schuhsohle. »Er geht jeden Donnerstagabend boxen und fährt mit der U-Bahn nach Hause. Wenn er in zehn Minuten nicht kommt, versuchen wir es nächste Woche wieder.« Er blickte Keon aus dem Augenwinkel an. »Du hast doch den Mumm, oder, Keon? Auf dich kommt’s jetzt an. Aber noch mal,
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