Ein Tag und zwei Leben (Episode 1)
»Lea! Da bist du ja endlich!«
Damian zieht mich in eine feste Umarmung und presst seine Wange an meine, wobei vermutlich Spuren seines Make-ups an mir kleben bleiben. An allen anderen Tagen mag mir das vielleicht was ausmachen, aber diesmal nicht. Immerhin ist mein Versuch, mich in eine sexy Katze zu verwandeln, schon in den Grundzügen gescheitert.
Damians Einladung kam spontan, wie immer eigentlich, und ich hatte nicht mehr viel Zeit, mir ein passendes Kostüm zu schneidern. Nicht, dass ich schneidern könnte … Aber mal angenommen, ich hätte mehr als vier Stunden Zeit gehabt: dann wäre ich in der Lage gewesen, aus den Resten meines Kleiderschranks etwas zusammenzuschustern, was eher an Catwoman als an Kater Karlo erinnert, oder?
So blieb mir aber nur der Gang in das Einkaufszentrum und dort waren die besten Kostüme natürlich schon vergriffen. Ich hatte die Auswahl zwischen sexy Piratin, sexy Krankenschwester – und einem Katzenkostüm in Größe L. Ich habe mich für Letzteres entschieden, da es mir noch am besten erschien.
Wenn ich mich jetzt hier umschaue, bin ich nicht mehr ganz davon überzeugt, als putzige Katze mit aufgemalten Schnurrhaaren und schwarzer Nase so gut ins Bild zu passen. Damian ist, wie sollte es auch anders sein, die äußerst attraktive Version eines Vampirs, inklusive der spitzen Eckzähne, einem schwarzen Mantel mit rotem Innenfutter und aufgestelltem Kragen. Sein Gesicht ist blass geschminkt, die blauen Augen schwarz betont, und obwohl mir Make-up bei Männern nicht gefällt, bildet Damian die Ausnahme. Seine kurzen, braunen Haare hat er mit grauer Haarfarbe angesprüht – er hat wirklich an alles gedacht.
»Fühl dich einfach wie zu Hause!«
Das würde ich ja, wenn ich außer ihm noch jemanden kennen würde, aber bei den wilden Maskierungen der Partygäste fällt mir das Erraten einer echten Identität schwerer als erwartet.
»In der Küche gibt es Bier, wenn du magst!«
Aber er lässt mir keine Chance zur Entscheidung, da er einfach meine Hand nimmt, und mich durch die Menge im Flur und im Wohnzimmer in Richtung Küche zieht. Unterwegs begegnen wir zahlreichen sexy Piratinnen und einigen sexy Krankenschwestern, die alle Damian umarmen und küssen wollen, die sich für die Einladung bedanken und sich einen Tanz mit ihm reservieren wollen. Mich bemerkt keine, obwohl ich noch immer Damians Hand in meiner halte. Aber als Kater Karlo scheine ich keine echte Konkurrenz darzustellen.
Kaum erreichen wir die verrauchte Küche, wird mir einmal mehr bewusst, wie blöd diese Idee wirklich ist. Als mich Damian auf seine Halloween-Party eingeladen hat, dachte ich wirklich, es wäre eine Art exklusive Party – eine Einladung, die er nur an seine engsten und besten Freunde ausspricht. Aber es sind so viele Menschen in der Wohnung, dass ich mich frage, ob die Brandschutzbestimmungen noch eingehalten werden.
»Was willst du trinken?«
Einige Jungs mischen bunte Getränke mit viel Alkohol in Gläsern, die ich in den Händen der Piratinnen und Krankenschwestern bereits bemerkt habe. Klar, hier wird man abgefüllt. Auch darauf hätte ich mich vorbereiten können. Aber da mir eine Fahrt mit der U-Bahn durch die halbe Stadt in einem Katzenkostüm dann doch zu peinlich war, habe ich meinen Wagen genommen.
»Ich nehme eine Cola.«
Damian verzieht das Gesicht und grinst mich dann schief an.
»Komm schon Lea, es ist Halloween! Lass doch einfach mal los!«
Darum geht es gar nicht. Ich werde auch noch loslassen können, wenn ich erst mal einen Cola-Rausch habe. Damian kennt mich seit Jahren. Er ist mein bester Freund; der Mensch, den ich anrufe, wenn ich krank bin; der mich tröstet, wenn Tobi mir mal wieder das Herz bricht; und der Mann, in den ich seit ungefähr fünf Jahren heimlich verliebt bin. Was er nicht weiß und ich nicht zugebe. Wir kennen uns so gut, stehen uns so nah … Wenn ich auch nur ein Wort darüber verlieren würde, es wäre alles vorbei. Oder – noch schlimmer – anders. Also höre ich mir seine ganzen Frauengeschichten an, erlebe ihn beim Frusttrinken, weil seine Freundin/Ex-Freundin Simone ihn regelmäßig in den Wahnsinn treibt und er sie schon lange nicht mehr liebt. Nein, Damian ist nicht der Typ Mann, in den Frau sich verlieben sollte. Aber wann hört das Herz schon mal auf den Verstand? Meines hat es nicht getan! Also gebe ich mich mit der Rolle der besten Freundin und Seelenverwandten zufrieden. Somit habe ich ihn in meiner Nähe, bis ich eines Tages
Weitere Kostenlose Bücher