Ein Tag und zwei Leben (Episode 2)
nur kurz vorbei und dann kannst du wieder dein Leben an die Wand fahren.»
Damit dreht sie sich von mir weg und geht zurück an die Arbeitsplatte meiner Küche. Mit ihr verschwindet auch der Duft, der mir eben noch die Sinne vernebelt hat. Ich darf jetzt nur nicht nachgeben. So wie jedes Jahr – wenn sie hier mit ihrer Milchkaffee-Quarktaschen-Zaubertüte für mich auftaucht und mir diesen ganzen Weihnachtszinnober verkaufen will. Nur weil sie sich in dieser Gewürzspekulatiuswelt und zimtduftgeschwängerten Luft wohl fühlt, muss ich das nicht auch. Oder?
«Lea. Könntest du dieses Jahr nicht einfach ...»
«Nein!»
Sie klingt überraschend wütend, dabei habe ich noch nicht mal meine beste King Lear-Performance zum Besten gegeben. Für gewöhnlich streiten wir heute erst gegen Abend. Aber so, wie sie mich jetzt ansieht, scheint sie jetzt schon bereit für den großen Kampf. Ich wäre dafür nur gerne angezogen und nicht barfuß.
«Jedes Jahr die gleiche Scheiße! Jedes Jahr muss ich dich aus der Wohnung zerren und dich davon überzeugen, dass die Welt nicht böse und gemein ist!»
Damit mag sie recht haben, aber ich habe sie schließlich nie darum gebeten. Jedes Jahr lädt sie sich aufs Neue zu mir ein und spielt die Mutter Teresa der Weihnachtszeit. Dabei hat sie dieses selbstgefällige Lächeln und ihre alberne Pudelmütze … Mit der sie unglaublich süß aussieht …
«Meinst du nicht, dass es langsam Zeit wird, neue Erinnerungen zu sammeln?»
Jetzt wird sie auch noch lauter. Hat sie vergessen, dass sie Gast in meiner Wohnung ist? Außerdem steht mir nicht der Sinn nach Streit. Nicht mit Lea. Ich habe mit Simone schon genug solcher Streits. Und obwohl es bei uns gerade mal etwas harmonischer zugeht, werden wir uns bestimmt noch vor Silvester an die Gurgel gehen. Weil sie dort und ich hier feiern will. Oder weil sie lieber dieses Gericht essen will. Was weiß ich!? Ihr wird schon ein guter Grund für einen albernen Streit einfallen. Frauen soll einer verstehen … Aber Lea? Muss ich mich jetzt auch noch mit ihr streiten? Ich hatte heute noch nicht mal einen Schluck Kaffee. Sie stützt die Arme in die Seite und funkelt mich an. Habe ich etwas verpasst?
«Krieg doch endlich mal den Arsch hoch!»
Jaja, ich weiß. Sie meint es nur gut. Das machen beste Freunde so. Das habe ich schon oft gehört und doppelt so oft erlebt. Der richtige Arschtritt zur richtigen Zeit, dann ändert man aus freien Stücken sein Leben, weil man erkannt hat, wievielmal besser es einem doch geht. Aber diese Attacke um diese Uhrzeit … das ist auch für mich zu viel! Der gepflegte Kater, den ich gerade habe, weil ich mir gestern mühevoll einen angetrunken habe, dürfte auch nicht unbedingt hilfreich sein.
«Es ist immer das gleiche Theater mit dir! Jedes Jahr! Und jedes Jahr sagst du, dass du es nächstes Jahr ändern willst!»
«Ich weiß!»
Lea zuckt merklich zusammen, als ich zurückschreie. Ich will sie nicht anschreien. Aber sie trifft den wunden Punkt, weil sie ihn treffen will. Ich weiß, dass sie eine Reaktion von mir erwartet – aber vermutlich gefällt ihr das nicht, was sie jetzt bekommt.
«Ich weiß, was ich letztes Jahr gesagt habe! Und ich weiß, was ich dieses Jahr sagen werde! Aber ich habe dich nicht eingeladen. Wenn dir meine Laune am heutigen Tag nicht gefällt, dann pack deinen Kaffee wieder ein und verschwinde!»
Das meine ich natürlich nicht so. Solche Dinge sagt man immer so leicht daher, aber ehrlich gesagt will ich mir nicht ausmalen, was ich mache, wenn Lea jetzt wirklich geht. Und dann auch noch den Kaffee mitnimmt … Stumm steht sie vor mir. Wartet sie?
«Geh und verbreite deinen Weihnachtszauber bitte woanders.»
Zumindest schreie ich nicht mehr. Aber ich sage auch nicht, was ich sagen will. Am liebsten wäre es mir, wenn sie einfach bei mir bleibt, wir uns auf die Couch rollen und zusammen TV schauen. Ich wäre sogar bereit, ihre blödsinnige Lieblingssendung zu schauen. Oder eine dieser Kochsendungen, bei denen Gerichte gezaubert werden, die wir irgendwann nachkochen wollen und dabei gleich die halbe Küche abfackeln.
«Das hättest du gerne. Darin bist du richtig gut, Damian Heath. Das ist die Lösung aller Probleme, oder?»
Ich hasse es, wenn sie das tut. Deswegen drehe ich mich weg und gehe in Richtung Bad. Wenn Lea sich mit mir heute wirklich anlegen will – und das wird sie! – dann sollte ich zumindest ansatzweise wach sein. Aber so leicht ist sie nicht abzuschütteln. Sie folgt
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