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Ein Tag und zwei Leben (Episode 2)

Ein Tag und zwei Leben (Episode 2)

Titel: Ein Tag und zwei Leben (Episode 2) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Popescu
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alle sind glücklich! Und dann kommt der blöde Damian und macht dir alles kaputt!»
    Jetzt stehe ich auf und komme auf sie zu.
    «Wieso backst du kein Lebkuchenhaus für die Waisenkinder mit Tobi? Wieso bist du überhaupt hier?»
    «Tobi ist in Hamburg, das weißt du doch. Außerdem wollte ich bei dir sein.»
    «Sehe ich aus, als ob ich gerettet werden muss?»
    Ich schreie sie an und nutze jeden Zentimeter meiner Körpergröße, um möglichst bedrohlich zu wirken. Das funktioniert vielleicht bei dem Versuch, gegnerische Fußballfans einzuschüchtern – aber es funktioniert nicht bei Lea. Weil sie weiß, dass ich ihr niemals wehtun könnte. Egal was zwischen uns passiert, niemals würde ich ihr gegenüber handgreiflich werden können. Auch wenn ich jetzt spüre, dass ich früher oder später etwas gegen die Wand werfen muss.
    «Nein. Ganz sicher nicht.»
    «Wieso fühlst du dich dann dazu berufen, mich zu retten?»
    «Wieso denkst du, dass ich dich rette?»
    Wenn Leas Stimme nur noch ein Flüstern ist und wir uns so nahe stehen wie jetzt, dann reißt sie damit alles in mir nieder. Dann erreicht sie mich durch all die Wut und all den Schmerz. Das ist der Unterschied. Deswegen ist sie nicht wie Simone. Ihre Hand will nach meiner greifen, aber ich weiche ihr aus. Wenn ich die Berührung zulasse, dann gebe ich auf und dann sieht sie mich weinen. Und das will ich nicht.
    «Du bist daran schuld.»
    Dieser Vorwurf ist eine Lüge, aber er geht mir so schnell und so leicht über die Lippen, dass ich selbst erschrecke. Nein, es ist nicht ihre Schuld. Vielleicht ist es nicht mal meine Schuld. Aber es tut gut, jemanden zu finden, den ich für alles verantwortlich machen kann. Lea schüttelt nur leicht den Kopf, als würde das meine Worte zurücknehmen, aber ich kann von hier nicht mehr zurück.
    «Ich könnte es vergessen, wenn du nicht jedes Jahr aufs Neue hier aufkreuzen würdest und so tust, als wäre das alles nur eine Frage des Willens!»
    «Damian ...»
    «Ich kann es nicht vergessen, weil du mich jedes Jahr daran erinnern musst! Weil du glaubst, ein bisschen Schlittschuhlaufen auf dem Schlossplatz und ein bisschen Glühwein würde alles vergessen machen!»
    Ob sie das wirklich denkt, weiß ich nicht so genau; aber es fühlt sich so an und ich möchte doch nur nicht daran erinnert werden, Ist das wirklich so unendlich schwer zu verstehen? Wieso haben es die anderen verstanden? Simone ruft heute nicht mal an und selbst meine anderen Freunde machen lieber einen Bogen um mich. Sie haben verstanden, dass ich heute nur meine Ruhe haben will. Nur Lea scheint diesbezüglich schwer von Begriff. Dabei müsste ausgerechnet sie es doch verstehen!
    «Ich habe keine Lust, Jahr um Jahr daran erinnert zu werden!»
    Das hört nicht nur sie, sondern das hören jetzt ohne Zweifel auch meine Nachbarn. Nur ein bisschen zittert dabei meine Stimme. Lea sieht mich aus ihren unglaublich großen und braunen Augen an. Obwohl sie alle meine Worte zu ignorieren versucht – es trifft sie dennoch.
    «Für dich haben deine Eltern wohl immer die tollsten Weihnachtsmänner in die schönsten Schuhe gestopft, oder? Weiße Schokolade, weil du die ja so liebst!»
    Sie muss darauf nicht antworten, ich weiß auch so, dass es stimmt. Zumindest als Kind hatte Lea ein perfektes Leben. Darum beneide ich sie vielleicht ein kleines bisschen.
    «Weißt du, was meine Mutter mir in die Schuhe gepackt hat?»
    Das weiß sie, weil ich es ihr irgendwann mal erzählt habe. Als sie merkte, dass ich immer um diesen Tag herum relativ unentspannt wurde. Genau dann habe ich sie in mein Leben gelassen – ohne zu wissen, dass sie es sich darin so bequem machen würde. Jetzt ist sie nicht mehr daraus wegzudenken.
    «Fast wäre sie an ihrer eigenen Kotze erstickt! Vollgesoffen, vollgekotzt und bewusstlos! Das ist mein Geschenk zum Nikolaus gewesen!»
    Ich schlage mit der Faust gegen den Türrahmen, viel zu nah an Leas Gesicht. Sie zuckt erschrocken zusammen. In ihren großen Augen sammeln sich Tränen, was mein Herz zusammenfahren lässt.
    «Ich war fünf Jahre alt und wollte nur sehen, was für Schokolade in meinem Schuh ist! Und was finde ich? Meine Mutter auf dem Fußboden! Eine tolle Überraschung! Richtig geil!»
    Der Comic-Strip in meinem Kopf zeichnet sich von ganz alleine und in einer erstaunlichen Geschwindigkeit. Meine Mutter lag regungslos auf dem Boden und ich trug einen Star-Wars-Schlafanzug. Wieso meine Mama auf dem Boden eingeschlafen war und das auch noch in der

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