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Ein Tag, zwei Leben (German Edition)

Ein Tag, zwei Leben (German Edition)

Titel: Ein Tag, zwei Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Shirvington
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natürlich außer Frage, deshalb schlich ich nach unten, wärmte in der Mikrowelle ein Töpfchen Wachs auf, schnitt eine Gurke in Scheiben und trug alles nach oben in mein Zimmer. Nachdem ich mir die Beine mit Wachs gründlich enthaart hatte, legte ich mir Gurkenscheiben auf die Augen und tat alles Mögliche, einschließlich die Schulhymne zu singen, um nicht mehr an Ethan denken zu müssen.
    Ich hatte einen Plan. Einen guten Plan. Er wusste nicht, wie meine Leben waren. Er wusste nicht, wie es war, als ich sieben war und aufwachte, nachdem ich ins Bett gemacht hatte; wie ich daraufhin schreckliche Angstattacken hatte vor dem, was mein Vater sagen würde, wenn er die Schweinerei entdeckte. Wie es war, diese intensive kindliche Angst zu spüren, dann aus ihr herausgerissen und für die folgenden vierundzwanzig Stunden in eine andere Realität geworfen zu werden und dabei die ganze Zeit zu wissen, dass man am Ende in eben diesen Panikzustand zurückkehren musste. Er wusste nicht, wie es war, wenn man dauernd darüber nachdenken musste, was man sagte, wenn man immer darauf achten musste, dass man nichts preisgab, wenn man immer in der Angst lebte, dass einen irgendjemand erwischen und als geistesgestört abstempeln würde. Und er hatte keine Ahnung, was es bedeutete, nie wirklich dazuzugehören – zwei Leben zu haben, die so belastend waren, dass man nie wusste, wer man wirklich war.
    Die Wahrheit war, dass ich eigentlich gar niemand war. Und das kann man niemandem erklären.
    Als die Sonne aufging, verlor Mom keine Zeit – sie glitt in mein Zimmer, in der Hand ein smaragdgrünes, knielanges Wickelkleid.
    » Das hab ich mir bis zum Schluss aufgehoben«, sagte sie und hielt es mir stolz hin. » Ich habe es schon vor Ewigkeiten online bestellt, und als es ankam, wusste ich, dass es fantastisch an dir aussehen würde!« Mom war ein wenig online-Shopping-süchtig. Davon hatte ich bisher ganz gut profitiert.
    Ich lächelte strahlend und bewunderte das Kleid.
    » Du siehst anders aus, weißt du?«, sagte Mom.
    Unsicher sah ich sie an. » Wie meinst du das?«
    Sie schenkte mir ein stolzes Mom-Lächeln. » Erwachsen, bereit, es mit der Welt aufzunehmen. Ich weiß nicht. Es ist, als wärst du ausgerechnet heute Morgen damit aufgewacht. Du siehst … schön aus.« Sie strich mir mit der Hand über das Haar; ich warf mich in ihre Arme und umarmte sie fest.
    » Ich liebe dich, Mom.«
    » Ich liebe dich auch, Sabine. Ist alles in Ordnung?«
    » Ja, es ist nur … dieser Erwachsenwerden-Kram ist manchmal schwierig.«
    Mom seufzte. » Das hat nicht zufällig irgendetwas mit Dex und heute Abend zu tun, oder?«
    Ich schluckte. » Nein. Ich … Mom, können wir lieber nicht darüber sprechen?«
    Sie lachte leichthin. » Wir müssen nicht darüber reden. Du bist ein vernünftiges Mädchen. Ich vertraue darauf, dass du eine verantwortungsbewusste Entscheidung getroffen hast. Wenn es sich richtig für dich anfühlt, dann ist es wahrscheinlich richtig. Aber wenn es sich nicht richtig anfühlt, wirst du auch auf dein Gefühl hören.« Sie schob mich sanft von sich und musterte mich voller Stolz. » Zieh dich an. Denk daran, dass du Lucy versprochen hast, ihr beim Aufbau zu helfen. Wir sehen uns dann dort, in der ersten Reihe. Dein Vater, Lucas und Lyndal werden auch da sein.« Sie musterte das Kleid. » Ich kann gar nicht abwarten, dich darin zu sehen.« Sie ging hinaus, doch ich blieb, wo ich war. Ich wusste, sie würde nicht widerstehen können.
    Und tatsächlich blieb sie an der Tür stehen. » Ach, Liebes. Ich glaube, du solltest dazu die Haare hochstecken.«
    Wenigstens ein paar Dinge würden immer bleiben.
    Der Tag verflog. Als ich im Saal ankam, war Lucy bereits kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Nachdem ich sie beruhigt hatte, waren wir die nächsten paar Stunden am Herumrennen, wir stellten Stühle auf, legten Programme aus, arrangierten das Rednerpult, den Fotobereich und den Tee-und-Kaffee-Stand. Als wir endlich zum Luftholen kamen, waren die Plätze alle belegt und die Feier stand kurz bevor.
    Darüber hätte ich froher nicht sein können. Ablenkung war die beste Medizin für mich.
    Wir bekamen unsere Abschluss-Schriftrollen überreicht und ertrugen die lange, schleppende Rede des Schulleiters und die Abschiedsreden der Jahrgangsbesten – dieses Jahr gab es zwei davon, also den doppelten Spaß. Aber es war unglaublich befriedigend. Ich hatte so lange auf diesen Tag gewartet, und da ich ihn in meinem anderen Leben verpassen

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