Ein Tag, zwei Leben (German Edition)
– vielleicht hatte sie ein schlechtes Gewissen wegen ihrer stichprobenartigen Prüfung der Drogeriemarktbestände. Bei diesem Gedanken fiel mir der Medikamentenvorrat wieder ein, der zurzeit unter meiner Matratze eingekeilt war.
Ich seufzte. War jetzt der Augenblick, meine Entscheidung zu treffen? Sollte ich die Tabletten, die ich gestohlen hatte, zurückgeben? War heute der Tag? Hier, mit meinen Eltern? Es war das, was Ethan wollte – dass ich meine Entscheidung für mich allein traf. Doch als ich in die Gesichter von Mom und Dad blickte, brachte ich es einfach nicht über mich; sie waren einfach zu erpicht darauf, dass alles wieder in Ordnung kommen würde, dass alles so wäre wie früher.
Ich würde ihnen den heutigen Tag schenken und später Ethan darum bitten, mir dabei zu helfen, die Medikamente loszuwerden. Außerdem … es ließ sich nicht verleugnen, dass ein kleiner Teil von mir noch nicht hundertprozentig bereit war, sie abzugeben.
Ich holte tief Luft. » Es ist wirklich gut, dich zu sehen, Mom. Es tut mir leid, dass alles so …«
Sie winkte ab, als sie die Versuche, mich zu entschuldigen, hörte. Das fand ich frustrierend.
» Meint ihr, ich könnte in ein paar Tagen mal mit Maddie telefonieren? Ich vermisse sie wirklich.«
Mom und Dad sahen sich gegenseitig an, dann nickte mir Mom knapp zu. » Das klingt nach einer guten Idee. Sie vermisst dich auch.«
Den Rest des Besuchs über redeten wir über allgemeinen Kram. Als wir uns verabschiedeten, sagten sie, dass sie in ein paar Tagen wiederkommen würden und es kaum erwarten könnten, bis ich wieder zu Hause wäre. Dann umarmten wir uns wieder verlegen, und ich sagte, Denise könne morgen vorbeischauen, wenn sie wolle.
Als sie weg waren, merkte ich, dass ich seit Langem wieder eine höhere Meinung von ihnen hatte. Ich hoffte, ich bekäme die Gelegenheit, mit ihnen alles in Ordnung zu bringen, denn heute Abend würde ich in eine absolut miese Situation zurückwechseln, und ich wusste nicht, wie es mir gehen würde, wenn Dex mit mir fertig war.
Für den Rest des Tages schleppten sich die Minuten dahin – gleichzeitig verging er wie im Flug. Ich sehnte mich so sehr nach Ethan, dass es fast unerträglich wurde. Ich musste ihm von Dex erzählen, davon, was mit mir passierte. Ich musste mich selbst auf das vorbereiten, was mir bevorstand. Auch wenn es nichts gab, was ich hätte tun können, brauchte ich Ethan bei mir – er musste mich festhalten und mir sagen, dass ich keine Angst zu haben brauchte. Wo war er?
Die Nacht brach herein und Ethan war noch immer nicht aufgetaucht.
Ich saß in meinem Sessel, ging in meinem Zimmer auf und ab und streckte den Kopf zur Tür hinaus, als ich von dort hektische Telefonanrufe hörte und Pfleger hin und her rannten. Aber kein Ethan.
Als gegen zehn Levi in mein Zimmer kam, war ich kurz davor, hysterisch zu werden. Es dauerte einen Moment, bis ich ihn erkannte, denn er hatte nicht seinen üblichen Arztkittel an, sondern normale Kleidung.
» Sabine.« Er setzte die Brille ab und rieb sich die Augen. » Bitte entschuldige die Störung, aber ich war heute Abend in der Klinik und dachte mir, ich schaue mal vorbei, um mich dafür zu entschuldigen, dass die Sitzung heute Morgen ausgefallen ist …«
Ich versuchte, einen ruhigen Tonfall anzuschlagen. » Schon gut. Ich denke, ich spreche heute Abend ohnehin noch mit Ethan. Ist er schon da?«
Levi schien bestürzt zu sein. » Oh. Sabine, es … es tut mir schrecklich leid … Ethan …« Er räusperte sich. » Ethan kommt heute nicht. Ähm, soll ich jemand anderes vorbeikommen?«
» Nein! Wo ist Ethan?«, fuhr ich ihn an und ging wieder auf und ab. » Ist etwas passiert?«
Levi rieb sich wieder das Gesicht, als wäre er gerade erst aufgestanden. » Er ist … Sabine, es tut mir leid, aber ich muss jetzt weiter. Wir sehen uns morgen früh.«
Panik erfasste mich und ich schüttelte den Kopf. » Warten Sie, ich kann nicht … ich muss Ethan sprechen! Ist er überhaupt zur Arbeit gekommen? Ist er zu Hause? Wo ist er? Kann ich ihn wenigstens anrufen? Bitte. Ich versichere Ihnen auch, dass er bestimmt möchte, dass ich mich bei ihm melde.«
Er schüttelte den Kopf. » Nicht heute Abend, Sabine.«
Und dann ließ er mich allein, so als könnte er gar nicht schnell genug fortkommen.
Mir verschlug es den Atem.
Ich war wie gelähmt.
Der schlimmste Wechsel meines Lebens stand mir bevor und ich war allein. Ich hatte nicht geahnt, hatte nicht einmal in Betracht gezogen,
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