Die Wanderapothekerin 4: Gift (German Edition)
1.
D er Weg war steil, doch Klara widerstand der Versuchung, Martha das schwere Reff zu übergeben. Seit sie Kitzingen verlassen hatten, waren sie bereits drei Wochen unterwegs, hatten aber in den unwegsamen Tälern und Hängen des Spessarts und des Odenwalds oft weniger als zwei Meilen am Tag zurücklegen können. Um die einzelnen Dörfer und Gehöfte zu erreichen, in denen sie Rumold Justs Arzneiwaren verkaufen durften, waren sie gezwungen, stundenlang in eine der Schluchten hineinzugehen und diese auf dem gleichen Weg wieder zu verlassen.
Zum Glück kauften die Bewohner der einsamen Dörfer ihnen häufig etwas ab. Zwar wunderten sie sich, innerhalb von zwei Jahren die dritte Person zu sehen, die ihnen die Waren brachte, aber sie wussten Justs Salben und Tinkturen zu schätzen. Klara war daher guten Mutes, dass sie bis zu ihrem nächsten Treffpunkt mit Tobias den größten Teil ihrer Arzneien verkauft haben würde.
An diesem Tag fiel ihr der Weg jedoch schwer. Es war heiß, das Reff drückte, und sie litt Hunger und Durst. »Allmählich müssten wir Schloss Waldstein doch erreichen«, stöhnte sie, während sie weiter bergan stieg.
Martha schnaubte zunächst nur zustimmend, denn ihr setzten die Hitze und der steinige Weg ebenfalls zu.
»Es kann keine Viertelmeile mehr sein«, antwortete sie ein paar Schritte später, während sie sich den Schweiß von der Stirn wischte.
Klara nickte, denn sie hatte längst festgestellt, dass ihre Begleiterin ein gutes Orientierungsvermögen besaß und die zurückgelegte Strecke besser einzuschätzen vermochte als sie selbst.
»Auf ebener Straße wäre eine Viertelmeile kein Problem«, erwiderte sie. »Aber hier geht es seit mehr als einer Stunde stetig bergan.«
»Wenn du willst, übernehme ich das Reff«, bot ihre Freundin an.
Klara lächelte, blieb aber nicht stehen. »Wenn Waldstein nicht bald kommt, nehme ich das gerne an.«
»Wieso müssen wir eigentlich dieses Schloss aufsuchen? Es kostet uns einen ganzen Tag, dorthin zu gelangen – und viel werden sie uns nicht abkaufen.«
»Laut meinem Vater ist Waldstein deshalb so wichtig, weil sein Besitzer die Herrschaft über das ganze Gebiet ausübt. Nur in die Dörfer zu gehen und das Schloss zu meiden, wäre nicht nur unhöflich, sondern könnte uns auch die Erlaubnis kosten, unsere Arzneien in diesem Gebiet zu verkaufen.«
Klara verzog ihr Gesicht zu einem gequälten Lächeln und ging weiter. Dabei glitt ihr Blick nach oben, wo der höchste Punkt der Straße mehr zu erahnen als zu sehen war.
»Was würde ich jetzt für einen kühlen Trunk geben«, entfuhr es ihr unwillkürlich.
Martha blickte sich suchend um, horchte einen Augenblick und zuckte dann mit den Achseln. »Die Flasche, die du aus Kitzingen mitgenommen hast, ist leer, und ich höre nirgends einen Bach oder eine Quelle plätschern, an denen wir sie auffüllen könnten. Also werden wir durchhalten müssen, bis wir das Schloss erreichen.«
»Das fürchte ich auch.« Klara schluckte mehrmals, um den Speichelfluss anzuregen, und ärgerte sich, weil der Sitz der Herren von Waldstein ausgerechnet im hintersten Winkel ihres Gebiets lag.
»Was mag uns dort erwarten?«, fragte Martha. »Die Leute in den Dörfern, durch die wir gekommen sind, waren sehr verschlossen, besonders, was das Schloss und seine Bewohner betrifft.«
Klara hatte sich bislang keine Gedanken über die Herren auf Waldstein gemacht. Sie blieb kurz stehen und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. »Ich weiß es nicht.«
»Es soll dort letztens einen Todesfall gegeben haben«, berichtete ihre Freundin.
»Wir werden unsere Arzneien verkaufen und dann weiterziehen. Mit den Herrschaften dort oben kommen wir dabei wohl kaum zusammen. Aber wenn es jetzt noch lange bergauf geht, muss ich dich bitten, das Reff zu übernehmen. Es lastet mir allmählich zu schwer auf den Schultern!«
Noch während Klara es sagte, stieß Martha einen erleichterten Ruf aus. »Ich sehe das Schloss!«
»Wo?«, fragte Klara und setzte sich wieder in Bewegung.
Keine fünfzig Schritte weiter entdeckte sie es ebenfalls. Die Anlage schmiegte sich zur Linken an einen flachen Hang, der sie vor den scharfen Ostwinden schützte. Ein großer Mittelbau wurde von zwei kürzeren Seitenflügeln flankiert, und alle Dächer waren mit grauem Schiefer gedeckt. Die Wände des Schlosses leuchteten in einem sanften Gelb, und die Fensterläden hatte man mit einem Zackenmuster in Grün und Rot bemalt.
Wer hier wohnte, besaß Macht, fuhr
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