Ein Tag, zwei Leben
ein Echo auf dem Schmerz-Radar.
Die Polizei kam zu mir, ein Mann und eine Frau. Ich erzählte ihnen die Wahrheit – alles, was ich konnte. Es war nicht an mir zu entscheiden, ob das, was Dex getan hatte, verzeihbar war oder nicht, deshalb erzählte ich ihnen, wie ich die Nacht geplant hatte, wie ich ihn hatte warten lassen und ihm versprochen hatte, dass wir zusammen sein würden. Ich erzählte ihnen, dass er mich zuvor immer respektiert hatte, aber auch dass er zunehmend besitzergreifend geworden war. Ich gestand, dass ich bis zu dem Moment, in dem ich Nein gesagt hatte, keine Warnsignale gesendet hatte – aber dass er sich dann die Champagnerflasche geschnappt hatte und verschwunden war. Bis er zurückkam. Ich sagte ihnen, dass ich glaubte, dass er mich umgebracht hätte.
Sie machten sich Notizen, während ich redete.
Ich rechnete fast damit, dass sie sagen würden, ich hätte bekommen, was ich verdient hatte. Das dachte ich fast schon selbst. Doch als sie aufstanden, streckte mir der Mann die Hand hin. » Danke, dass du so ehrlich warst. Es tut mir leid, dass das passiert ist. Ganz egal, was dazu geführt hat, es ist absolut nicht zu rechtfertigen, was er dir angetan hat.«
Ich schüttelte ihm die Hand. » Danke.«
Ich wünschte, ich könnte sagen, dass ich mich dadurch besser fühlte. Aber wenigstens fühlte ich mich nicht schlechter. Ich wusste nicht, was mit Dex passieren würde. Aber ich hatte getan, wozu ich bereit gewesen war. Ein besserer Mensch hätte vielleicht mehr getan, oder weniger. Ich weiß es nicht.
Ethans Beerdigung kam und ging. Alle in der Klinik, die ihn kannten, waren dazu eingeladen, aber es waren trotzdem nicht viele Leute da. Mein Herz schmerzte seinetwegen. Ich ging hin. Ich setzte mich in die letzte Reihe und nahm mir vor, stoisch zu sein.
Ich weinte die ganze Zeit.
In dieser Nacht benutzte ich nach Mitternacht den Fensterschlüssel und ging den ganzen Weg bis zum Public Garden. Ich setzte mich unter unsere Trauerweide, bis die Sonne aufging. Das Komische am Leben ist – selbst wenn man die Entscheidung getroffen hatte, es zu leben, darin zu sein, bedeutet das nicht notwendigerweise, dass es einen auch lässt. Aber die Tage verstrichen und ich stand jeden Morgen auf. Es war schwer.
Ein Ziel zu haben half, und meines bestand darin, die Klinik zu verlassen. Ich musste mein Leben in dieser Welt wieder zurückbekommen. Ich wusste zwar nicht genau, was das bedeuten oder wohin mich das führen würde, aber ich war entschlossen, es herauszufinden.
Ein paar Tage nach der Beerdigung kam Levi in mein Zimmer; er sah verwirrt aus.
» Darf ich hereinkommen?«, fragte er.
Ich legte mein Notizbuch weg, das inzwischen zu einem Tagebuch geworden war, in dem ich versuchte, jeden Moment mit Ethan, jedes Gespräch, jeden Ausflug zu dokumentieren.
Levi nahm im Sessel Platz und sah mich an; ich saß im Schneidersitz auf dem Bett. » Sabine … ähm, du hast das vielleicht nicht mitbekommen, aber Ethan war ziemlich gründlich in seinen Vorbereitungen. Er hat regelmäßig seinen letzten Willen und sein Testament aktualisiert, und da seine Eltern nicht mehr unter uns weilen, hat er mich darum gebeten, mich um die ganzen Abläufe zu kümmern. Das Testament wurde heute verlesen.«
» Oh.« Hatte er mir etwas hinterlassen? Ich wusste nicht, ob ich das ertragen konnte, aber gleichzeitig hätte ich alles darum gegeben, ein Foto von ihm zu besitzen. Ich hatte kein einziges Foto von ihm.
» Sabine, es scheint so, als habe Ethan mir in Bezug auf dich ein paar Anweisungen hinterlassen.«
Er zog einen Briefumschlag aus seiner Tasche und einen gefalteten Bogen Papier. Er reichte mir den versiegelten Umschlag. Auf der Vorderseite stand einfach » Sabine«.
Dann entfaltete er den Bogen. » Ethan hat uns beiden eine Botschaft hinterlassen. Meine … nun ja, am Ende heißt es …« Er räusperte sich. » Bitte geben Sie meinen anderen Brief Sabine. Ich weiß, dass sich alle schon eine Meinung über sie gebildet haben, aber ich persönlich glaube, dass sie gesund ist und in keiner Weise eine Bedrohung für sich selbst oder jemand anderen darstellt. Bilden Sie sich Ihre Meinung, Dr. Levi. Vergewissern Sie sich – und ich weiß, das werden Sie tun –, bevor Sie sie gehen lassen. Aber ich weiß, dass Ihnen Ihr Instinkt das Gleiche sagen wird, und ich bitte Sie inständig darum, Ihrem Instinkt zu vertrauen, so wie Sie es mich immer gelehrt haben. Darüber hinaus soll nach den Spenden, die bereits festgesetzt
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