Ein Tag, zwei Leben
Hause kommen. Als ich im Hintergrund jemanden rufen hörte, legte er auf, ohne tschüss zu sagen. Mistkerl.
Als Dex mit Gänseblümchen in der Hand ankam, wurde ich rot und stellte sie in eine Vase, dann schaltete ich in den Action-Modus – ich beschäftigte uns so gut es ging und bot an, dass wir für Lucy die Programme für den Abschlussabend und für Mom die Kleider aus der Reinigung abholen gingen. Praktisch alles, was uns so wenig Zeit wie möglich für das ließ, was Dex im Sinn hatte. Ausnahmsweise schien ihm das nichts auszumachen. Wahrscheinlich dachte er sich, dass unsere gemeinsame Nacht nicht mehr weit weg war.
Und da hatte er recht.
Wenn man mein anderes Leben nicht mitzählte, war morgen der große Tag.
23 – Roxbury, Montag
Am Montagabend war Ethan wieder da, er öffnete leise meine Tür, um nachzuschauen, ob ich wach war.
Ich saß im Lehnsessel. Die Tage, in denen ich versucht hatte, den Wechsel zu verschlafen, waren vorbei; mein Rhythmus war so aus dem Gleichgewicht, dass es sinnlos war, die Dinge jetzt noch zu ändern. Zumal ich nicht vorhatte, weiterhin mit alldem zu jonglieren.
Als ich ihn sah, legte ich Notizbuch und Stift weg, die man mir endlich anvertraut hatte. Dieses Privileg zu erhalten, war für mich kein Pappenstiel gewesen. In letzter Zeit hatte Levi sich mächtig ins Zeug gelegt; er hatte darauf bestanden, dass ich offen mit ihm redete und dass mir bestimmte Privilegien wieder entzogen würden, wenn er das Gefühl hätte, wir würden keine Fortschritte machen. Unterm Strich: Wenn ich nicht wieder mit Publikum Pipi machen wollte, musste ich eine Stunde lang über absoluten Müll mit ihm reden, wobei ich allerdings darauf achtete, mehr über meine » Gefühle« zu sprechen als über meine zwei Welten. Offensichtlich dachte Levi, ich hätte mir mein Leben in Wellesley konstruiert, um mir ein Gefühl der Kontrolle zu geben, die mir in meiner Roxbury-Welt wohl fehlte. Er deutete sogar an, dass ich aus einigen der Wellesley-Elemente eine Herausforderung gemacht hatte, damit ich mich selbst belohnen konnte, indem ich sie überwand. Ich musste mich sehr anstrengen, ihn nicht anzuschreien.
Nach der heutigen Sitzung hatte ich den Nachmittag damit verbracht, Briefe an Maddie zu schreiben. Ich hatte mir viele Gedanken gemacht, seit ich sie gesehen hatte, und beschlossen, dass sie nicht Dingen ausgesetzt werden sollte, denen sie nicht ausgesetzt sein sollte; ich wollte auf keinen Fall, dass sie dachte, ich würde Dinge billigen, die unter anderen Umständen schrecklich wären.
Die Ironie dabei war – ich billigte sie eigentlich auch nicht. Ich hatte noch immer Schwierigkeiten, mir einzugestehen, dass das, was ich da in Betracht zog, was ich gerade plante, eigentlich … Selbstmord war.
Aber wie könnte ich so weitermachen?
Ich glaubte ehrlich nicht, dass ich es überleben würde, wenn ich weiterhin beide Leben leben müsste. Sie hatten mich zwar aus den falschen Gründen hier eingesperrt, aber wenn ich diese Veränderung nicht vollzog – mir selbst die Chance auf ein normales Leben gab –, konnte es gut sein, dass ich in beiden Leben in der Psychiatrie landete. Das konnte ich nicht riskieren.
Ich hatte einen Brief geschrieben, den Maddie gleich, wenn ich nicht mehr da war, erhalten sollte; dann hatte ich noch weitere geschrieben, die für ihre Geburtstage aufbewahrt werden sollten, bis zu ihrem achtzehnten. Das war das Beste, was ich tun konnte, um ihr dabei zu helfen zu begreifen, dass es mir gut ging, wie sehr ich sie liebte und wie sehr ich das Leben zu schätzen wusste. Ich hoffte, sie würde sie erhalten.
» Hi«, sagte Ethan; seine Stimme war rau. Er sah erschöpft aus.
» Hey.« Ich blickte kurz zu ihm auf.
» Tut mir leid, dass ich die letzten paar Tage nicht da war.«
Ich zuckte mit den Achseln, um zu verbergen, wie sehr mich seine Abwesenheit mitgenommen hatte. » Jeder hat mal ein paar freie Tage verdient.«
Er biss sich auf die Lippe, sagte aber weiter nichts. Stattdessen setzte er sich auf die Bettkante, weil ich in seinem Sessel saß.
Ich starrte auf meinen Gips. Die hüpfenden Häschen verblassten allmählich.
Als schließlich klar war, dass ich nicht reden würde, sagte er: » Levi spricht davon, dich auf Medikamente zu setzen.«
Ich zog eine Grimasse. Das hatte er gesagt, doch ich hatte gehofft, dass er seine Meinung geändert hätte, nachdem ich während unserer letzten Sitzung so viel geredet hatte. Anscheinend war ich nicht sehr überzeugend gewesen.
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