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Ein Totenhemd fur einen Erzbischof

Ein Totenhemd fur einen Erzbischof

Titel: Ein Totenhemd fur einen Erzbischof Kostenlos Bücher Online Lesen
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und sah hinaus. Es lag im rechten Winkel zum nächsten Gebäude, in das es vom domus hospitale keinen direkten Zugang gab. Ihr fiel sofort auf, daß die Steine und der Putz dieses Gebäudes sehr viel neuer wirkten, es folglich erst später errichtet worden war. Der Sims unter dem Fenster setzte sich allerdings auch am Nebenflügel fort, wo der Baumeister ihn jedoch sehr viel großzügiger bemessen hatte: Er war dort einen ganzen Fuß breit und von Bruder Eanreds Fenster aus leicht zu erreichen.
    «Seht Ihr?» fragte Eadulf hinter ihr. «Ich glaube, Furius Licinius hat recht. Wir verfolgen die falsche Fährte.»
    «Eanreds Kammer ist ziemlich spartanisch eingerichtet.» Fidelma wandte sich zu ihm um.
    «Offenbar liebt Eanred das einfache Leben», stimmte Eadulf zu und ging mit Furius Licinius zurück auf den Flur. Fidelma hielt noch einen Moment lang inne, dann folgte sie den beiden. Eadulf hatte wahrscheinlich recht: Vielleicht sah sie ja schon Gespenster. Allerdings wurde sie das seltsame Gefühl nicht los, daß ihr etwas entgangen war.
    «Bleiben noch die Zimmer von Ine und Sebbi», sagte sie und schloß die Tür zu Eanreds Kammer hinter sich.
    In diesem Augenblick fiel ihr Blick auf den Rahmen der Tür. Etwa drei Fuß über dem Boden war das Holz gesplittert. Ein winziges Stück Stoff, ein kleiner, ausgefranster Streifen, war irgendwo abgerissen und an dem Splitter hängengeblieben.
    Sie beugte sich vor, um ihn abzunehmen.
    «Was ist das?» fragte Eadulf, der sie beobachtet hatte.
    Sie schüttelte den Kopf. «Ich bin mir nicht sicher. Ein Stück Sackleinen vielleicht.»
    Sie nahm den Stoff zwischen Daumen und Zeigefinger und hielt ihn gegen das Licht.
    «Ja, ein Stück Sackleinen», bestätigte Eadulf.
    «Was hat das zu bedeuten?» fragte Furius Licinius.
    «Das kann ich noch nicht sagen», erwiderte Fidelma.
    «Vielleicht hat jemand etwas in einem Sack in Eanreds Zimmer geschleppt, der Stoff hat sich an dem Splitter verhakt, und es ist ein Stück abgerissen.»
    Eadulf sah sie aufmerksam an und versuchte, ihre Gedanken zu lesen. «Soll das heißen, daß der Schatz in Eanreds Zimmer versteckt worden ist?»
    Eadulf hatte aus Fidelmas Überlegungen schon immer rasche Schlüsse ziehen können.
    «Ich erklärte doch schon, daß ich das noch nicht sagen kann», erwiderte Fidelma sanft. «Nur ein schlechter Richter zieht frühzeitige Schlüsse, ehe er alle verfügbaren Hinweise gesammelt und gegeneinander abgewogen hat.»
    «Aber das wäre doch eine Erklärung», beharrte Furius Licinius, eifrig darauf bedacht, etwas zur Sache beizutragen. Er hatte das dringende Bedürfnis, die durch die nachlässige Durchsuchung ins Wanken geratene Ehre der custodes zu retten. «Eanred hat selbst gesagt, daß er erst zurückgekehrt ist, als man Wighards Leiche schon entdeckt hatte, also nach Ronan Ragallachs Verhaftung. Vielleicht hat Ronan die Beute in die Kammer geschafft, während Eanred noch fort war?»
    Fidelma lächelte spöttisch.
    «Meint Ihr wirklich, Ronan Ragallach hätte zwei Säcke mit Diebesbeute in Eanreds Kammer versteckt, bevor er von den custodes verhaftet wurde? Was ist dann aus den Säcken geworden?»
    Licinius preßte die Lippen zusammen.
    «Ich habe ja schon gesagt, daß er vielleicht einen Komplizen hatte», murmelte er.
    «Ja, das stimmt. Wir werden später noch darüber sprechen. Jetzt laßt uns erst einmal Bruder Sebbis Zimmer durchsuchen», entgegnete Fidelma.
    «Aber das Sackleinen?» fragte Eadulf und sah zu, wie sie es in ihrem marsupium, einem großen Umhängebeutel, verschwinden ließ.
    «Der weise Richter sammelt nach und nach alle Beweisstücke», erklärte Fidelma lächelnd. «Erst wenn alle Stücke beisammen sind, versucht er – wie ein Handwerker, der ein kunstvolles Mosaik schafft – daraus vor seinem geistigen Auge ein Muster zusammenzusetzen und hie und da noch ein Stückchen einzufügen, bis sich allmählich ein stimmiges Bild ergibt. Nur ein schlechter Richter erliegt der Versuchung, ein Beweisstück herauszugreifen und daraus ein Gesamtbild ableiten zu wollen. Wer weiß? Vielleicht hat dieses Stück Stoff mit der Aufklärung unseres Falls gar nichts zu tun.»
    Mit einem schelmischen Augenzwinkern schaute sie zu ihm auf, machte dann kehrt und ging den Flur hinunter. Weder in Bruder Sebbis noch in Bruders Ines Kammer konnten sie etwas Verdächtiges entdecken, so daß Fidelma auf ihren ursprünglichen Plan zurückkam, Ronan Ragallachs Unterkunft in Augenschein zu nehmen.
    Eadulf wechselte einen

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