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Ein Toter zu wenig

Ein Toter zu wenig

Titel: Ein Toter zu wenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Leigh Sayers
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diplomatische Missionen unternimmt. In jüngster Zeit ist er auch eher bereit, Gefühle zu zeigen, und scheint nicht mehr solche Angst davor zu haben, welche zeigen zu müssen.
    Zuletzt hatte er den exzentrischen Einfall, sich in diese Frau zu verlieben, die er von dem Verdacht befreite, ihren Geliebten vergiftet zu haben. Sie hat als Frau von Charakter seinen Heiratsantrag abgelehnt. Dankbarkeit und ein demütigender Minderwertigkeitskomplex sind kein Fundament für eine Ehe; die Ausgangslage war von vornherein falsch. Diesmal hatte Peter aber soviel Verstand, meinen Rat anzunehmen. »Mein Junge«, habe ich zu ihm gesagt, »was vor zwanzig Jahren falsch von dir war, ist heute genau richtig. Nicht die unschuldigen jungen Dinger muß man behutsam anfassen - wohl aber die, denen Angst gemacht und wehgetan wurde. Fang doch einmal ganz von vorn an - aber laß dir sagen, daß du dazu alle Selbstdisziplin brauchen wirst, die du je gelernt hast.«
    Nun, er hat es versucht. Ich glaube, ich habe noch nie so etwas von Geduld erlebt. Die Frau hat Verstand und Charakter und ist aufrichtig; aber er muß sie lehren, zu nehmen, was ungleich schwerer zu lernen ist als Geben. Ich glaube, eines Tages werden sie zueinander finden, wenn sie es vermeiden können, daß ihre Gefühle ihrem Wollen davonlaufen. Ich weiß, er hat verstanden, daß ein Ja hier nur aus freiem Willen kommen darf oder gar nicht.
    Peter ist jetzt fünfundvierzig Jahre alt und sollte langsam seßhaft werden. Wie Sie sehen, war ich einer der wichtigen formenden Einflüsse für seinen Werdegang, und alles in allem finde ich, daß ich stolz auf ihn sein kann. Er ist ein echter Delagardie und hat kaum etwas von den Wimseys an sich, außer (um gerecht zu sein) diesem tief wurzelnden Gefühl der Verantwortung für die Allgemeinheit, das dem englischen Landadel als einziges noch eine gewisse Daseinsberechtigung gibt (bildlich gesprochen). Detektiv oder nicht, Peter ist jedenfalls ein Gentleman und Gelehrter, und ich werde amüsiert zusehen, wie er seine Rolle als Ehemann und Vater spielt. Ich bin ein alter Mann und habe keinen eigenen Sohn (soviel ich weiß); ich würde mich freuen, Peter glücklich zu sehen. Aber wie seine Mutter sagt: »Peter hatte immer alles, nur nicht das, was er wirklich wollte.« Und ich glaube, er ist besser daran als die meisten.

1. Kapitel
    »O verflixt!« rief Lord Peter Wimsey am Piccadilly Circus. »He, Fahrer!«
    Der Taxifahrer, der sich bei dem schwierigen Manöver, zum Abbiegen in die Lower Regent Street die Wege eines Omnibusses der Linie 19, einer Straßenbahn der Linie 38 B und eines Fahrrads zu kreuzen, durch diesen Anruf irritiert fühlte, lieh ein unwilliges Ohr. »Ich habe meinen Katalog vergessen«, sagte Lord Peter abbittend. »So etwas Liederliches! Könnten Sie wohl noch einmal umkehren?«
    »Zum Savile Club, Sir?«
    »Nein - 110 A Piccadilly - gleich dahinter - danke.«
    »Ich dachte, Sie hätten's eilig«, antwortete der Fahrer leicht gekränkt. »Ein bißchen schwierig zum Wenden hier«, entschuldigte sich Lord Peter, mehr auf die Gedanken des Fahrers als auf seine Worte eingehend. Sein langes, liebenswürdiges Gesicht wirkte wie von selbst aus dem Zylinder gewachsen, gleich den weißen Maden im Gorgonzola.
    Das Taxi wendete mit langsamen, ruckartigen Bewegungen, und es klang, als knirschte es mit den Zähnen.
    Der große Neubau, in dem Lord Peter im zweiten Stock eine der vollkommenen, teuren Wohnungen innehatte, stand unmittelbar gegenüber dem Green Park an der Stelle, wo sich jahrelang das Gerippe eines bankrotten Unternehmens befunden hatte. Als Lord Peter die Wohnungstür aufschloß, hörte er in der Bibliothek seinen Diener in jenem gedämpft durchdringenden Ton reden, der gut geschulten Menschen beim Telefonieren eigen ist. »Ich glaube, da kommt Seine Lordschaft soeben zurück - wenn Euer Gnaden freundlicherweise einen Augenblick am Apparat bleiben wollen.«
    »Was gibt's, Bunter?«
    »Ihre Gnaden ruft gerade aus Denver an, Mylord. Ich sagte ihr schon, daß Eure Lordschaft zur Auktion gegangen seien, da hörte ich Eurer Lordschaft Schlüssel im Schloß.«
    »Danke«, sagte Lord Peter. »Sie könnten mir derweil meinen Katalog suchen. Ich muß ihn im Schlafzimmer oder auf dem Schreibtisch liegengelassen haben.«
    Er setzte sich mit einer Miene lässiger Höflichkeit ans Telefon, als ob ein Bekannter auf ein Schwätzchen zu ihm gekommen wäre. »Hallo, Mutter - bist du's?«
    »Ah, da bist du ja, mein Junge«,

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