Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman
Hemd, vollgekritzeltem Schiefertäfelchen und Plastebeutel in einer Ecke seines Schulhofs stehend, und seine komplette Klasse richtet den Zeigefinger auf ihn.
»Samma, die Biere müssen die noch brauen oder ßu wat sind wir hier jebeten, am besten ick koof den janzen Laden und mach ne Wurstbude draus, dit is doch nich möglich, bis die wat bringen, bin ick in der Sahara ja ersoffen … Muahahahahahaha … Pffffffffffffffffft!«
Ähnlich schnell wie sein Blut fließt auch seine Rede, die sich kaum stoppen lässt; wenn man es aber dennoch schafft, in eine seiner wenigen Atempausen zu grätschen – allem Anschein nach hat er an der Stelle, wo handelsübliche Menschen Lungenflügel haben, Windmaschinen, die grad Gedachtes im selben Moment als formulierte Sätze einfach rausblasen –, ist er ein aufmerksamer und aufgeschlossener Zuhörer.
Am Ende unseres monologischen Dialogs lüftet er ungefragt das Tütengeheimnis. Seine untertassengroßen Augen verengen sich für einen winzigen Moment zu Schlitzen, als er, ohne hinzugucken, eine Hand nestelnd in die Tasche steckt. Dabei behält er mich, wie ein Löwe die Gazelle, konzentriert im Blick, und ich meine, mehr als nur
einen
Schalk in seinem Nacken zu entdecken.
Was wird seine Hand hervorholen?
Eine Familienpackung hochdosierten Knoblauchs in Gelatinekapseln gepresst?
Den Schlüssel eines Gebrauchtwagens?
Oder einen weiteren Rademann, an dem eine weitere Tüte baumelt?
Eh ich mich’s verseh, drückt er mir eine Kladde in die Hand, und ich bin mir sicher, dass es sich dabei um das Drehbuch handelt. Als ich sie öffne, fallen mir zehn Din-A4-Seiten mit Farblaserfotokopien in den Schoß: die schönsten Ziele der anstehenden Reise inklusive Bilder des unfassbaren Luxusresorts auf Bora Bora.
Dieser gerissene Hund!
Er weiß genau, warum ich hier sitze.
Genüsslich bekommt er mit, wie meine Augen trocken werden, da meine Lider vor lauter Reizüberflutung vergessen, sich zwischendurch für die Wässerung mal zu schließen, und schiebt, erst kurz bevor sie drohen, auf den Tisch zu kullern, das dünne Drehbuch hinterher.
Eine perfekte Übergabedramaturgie.
Das Buch fühlt sich dünner an als die vorherige Kladde. Auf jeden Fall aber ist es nicht so bunt und garantiert werde ich es weniger interessant finden als die Bilder.
Elf Bier später möchte ich ein Kind von ihm, beiß mir kurz vorher aber noch auf die Zunge. Irgendwann setzen sich dann doch meine Beck’s durch, und ich hör sie sagen:
»Wolf … hicks! … Wolfgang Radeber … äh … Rademann! Genaussso hab ich mir ddich vorge … hicks! … vorgestellt: bescheiden und ßurückhaltend, mit einem Wort, genauso knallaknüllakracha, wie ich deine Fi … hicks! … Filme und Serien finde, und es wird mir eine Ehre ssein, auf deinem Fuck … hicks! … auf deinem Flaggschiff mitfahren zu dürfn!«
Kaum ist der Satz gelallt verhallt, zeigt mir mein Gegenüber alle seine 32 Zähne, die er komplett oben zu tragen scheint, und verabschiedet sich mit einem überglücklichen:
»Mein Junge, ick freu mia. Willkommen an Bord!«
Und urplötzlich wird mir klar, dass
ich
der Caster war und nicht
er
, dass er für sich und seine Serie die Werbetrommel gerührt hat, um mich zu überzeugen.
Gerührt und davon überzeugt, vor etwas ganz Großem zu stehen, ziehe ich mein Handy aus der Jackentasche und smse meiner Agentin:
der beelze ist gar kein bub, sondern ein mann und der heißt rade, und dem habe ich grad meine seele verkauft und weißt du womit? mit recht! dein dr. faust
Als ich auch drei Stunden nach Absenden noch keine Reaktion erhalten habe, google ich vorsorglich nach neuen Schauspieleragenturen.
2
Mittwoch, 23. Dezember
Ich schlafe schlecht. Seit sechzehn Tagen. Seit vierzehn Tagen wache ich auch schlecht. Tja, wenn’s einmal läuft. Ich sollte einfach tagsüber pennen und nachts meinem Tagwerk nachgehen. Wie wär’s mit einer Umschulung zum Bäcker? So übernächtigt wie ich tagsüber bin, kann ich froh sein, wenn mich mein Fitnessclub noch reinlässt. Das Foto auf dem Mitgliedsausweis hat mit dem 3D-Christoph nur noch das schüttere Haar und die eine oder andere Knitterfalte gemein.
Bin letztens auf meinem Fahrrad eingenickt. Gott sei Dank bin ich nicht von einem holländischen Sattelschlepper erfasst worden, das Rad stand zwischen Stepper und Laufband. Nicht auszudenken, wenn mir so was zur Rush Hour auf dem Stadtring passieren würde. So, wie ich danach
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