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Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman

Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman

Titel: Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Maria Herbst
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in den letzten drei Jahrzehnten entwickelt, wenn es darum geht, den Blick auf das Wesentliche zu richten, und wenn die Tiefenschärfe nicht längst erfunden wäre, hätte Wolfjang Rademann sie persönlich geboren. Dass man gerade im Fernsehgeschäft und dort vor allem in der Werbung und beim
Traumschiff
mit den Sehnsüchten der Menschen spielt, Träume verkauft, die sich Ottonormalverbraucher nicht leisten kann, und Illusionen anbietet, denen keiner sich hinzugeben traut, ist eine geheime Abmachung zwischen Machern, Vormachern, Mitmachern und über 10 Millionen Gebührenzahlern, die sich zweimal im Jahr sehr, sehr gerne von gegerbten, gelifteten und gebräunten Gesichtern die lange Nase der Exotik machen lassen.
    Sollten die Gründer Roms, Romulus und Remus, wirklich von einer Wölfin gesäugt worden sein, so wird dies seit dreißig Jahren ein Achtel aller Deutschen von einem Wolfjang, und aus dessen Brüsten fließt Kokosmilch – mit Knoblauch.
    Dass dieses televisionäre Juwel seine Geburtsstunde fast im selben Jahr hatte, in dem ein gewisser Helmut Kohl sich anschickte, seine geistig-moralische Wende zu installieren, nämlich Anfang der Achtziger, öffnet allen Verschwörungstheoretikern Tür und Tor. Haben Rademanns Mafia und der damalige Kanzler, der zeitgleich Oberbefehlshaber des öffentlich-rechtlichen Fernsehens war, gemeinsame Sache gemacht, um ein weiteres Deutschland zu annektieren, damit die Zuschauerzahl endlich von lächerlichen 6 Millionen auf eine zweistellige Millionenzahl steigen kann?
    Kohl ist exakt fünf Jahre älter als Rademann, und 5 ist die Quersumme aus 23.
    Hah! die Illuminaten.
    Was weiß der Papst?
    Bevor ich all diese Fragen über meine guten Kontakte an Pro7 weiterreiche und die darüber ein
Galileo spezial
abfeuern, werde ich versuchen, diese bezahlte Reise dazu zu nutzen, an Ort und Stelle persönlich zu recherchieren.
     
    »Chrrr … Schmatz … Chrahchr!«
     
    Ich schaue in die blutunterlaufen-wässerigen Augen von Kollege Hammerzeh, dessen Frau ich eben noch zur Witwe machen wollte, und der es während meines gedanklichen Spaziergangs unbemerkt von der Fötal- in die Erwachsenenstellung geschafft hat.
     
    »Herr Heesters, Sie wollen durch?«
    Ich bin fast ein wenig froh, dass ich ihn nicht gefragt habe: »Hatten wir heute schon Stuhl?«
     
    Der alte Herr schaut mich allerdings in einem Ton an, als hätte ich ihm die ungestellte Frage gestellt, und als er anhebt, auch nur irgendwas zu sagen, fahre ich ihm in die Parade, indem ich den Weg frei mache, woraufhin er kopfschüttelnd die entgegengesetzte Richtung einschlägt und mich stehen lässt, als hätte ich Simone Rethel geschwängert.
    Leicht verdattert gehe ich den Weg, den ich für ihn vorgesehen hatte, und werde, wie die Motte vom Licht, von einem Geräusch angezogen, das mein Hirn im Ordner »Bekannt« abgelegt hat. Immer näher komme ich der Quelle und auf einmal höre ich seltsam vertrautes Stöhnen, Stöhnen, das eher durch aus- als durch einatmen zu dem wird, was es ist, nämlich dem akustischen Abbild von platzenden Äderchen in Pupillen, anschwellenden Venen im Kopf und dem Hyperventilieren von Lungenflügeln, die zu erlahmen drohen: Da kotzt sich jemand die Seele aus dem Leib.
    Allerdings erinnern mich die gebrüllten Laute des Erbrechens und das gezischelte Hochziehen von Luft durch die Zähne, das klingt, als versuche ein Staubsauger den Inhalt seines übervollen Beutels durch sein Gestänge wieder loszuwerden, nicht an mein letztes Silvester oder meinen achtzehnten Geburtstag, sondern an eine Frau, die mir vor Jahren mal einen blies. Und im selben Moment formieren sich alle diese Begriffe wie »Leib«, »Saugen«, »Beutel« und »Gestänge« zu einem immer klarer werdenden Gesamtbild: Es ist eine Regieassistentin, der ich da gerade zuhöre, wie sie über dem Klo hängt, eine Regieassistentin, mit der ich schon einmal ge … arbeitet habe.
    Ich verliebte mich damals in sie – eine braungebrannte, sportliche Endzwanzigerin mit kurzen, verwuschelten Haaren, an der alles größer war als an anderen Frauen, und wenn ich »alles« sage, meine ich auch »alles« –, sie sich aber nicht in mich. Ich litt wie ein Schwein, und wenig später erfuhr ich, dass sie in der Branche schon für viele Happy Endings verantwortlich war, nicht zuletzt deswegen immer wieder gerne gebucht wurde, da sie für eine muntere Gelöstheit im Team, zumindest unter den Männern, sorgte und daher auch ihren Spitznamen weg hatte: die

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