Ein unerhörtes Angebot
der Nachbarn mehr als unangenehm. Helen hob unwillkürlich das Kinn und spürte, wie ihr Stolz ihr Kraft verlieh. Diese Menschen mochten sich genau wie George wünschen, dass sie sich in eine bescheidenere Behausung verkrochen, aber ihre jüngere Schwester und sie würden in dem Haus bleiben, in dem sie aufgewachsen waren.
In einem hatte Iris recht: Charlotte war eine Schönheit. Wenn sie Gelegenheit bekäme, sich in den richtigen Kreisen zu bewegen, könnte sie gewiss eine Partie machen, die sehr viel mehr zu bieten haben würde als der arme Philip Goode.
Als hätte das Mädchen ihre Gedanken gelesen, flüsterte es:“Wenn doch Philip bessere Aussichten besäße oder sich Hoffnung auf ein Erbe machen könnte. Werde ich gezwungen sein, einen reichen Gatten zu finden?“
„Natürlich nicht“, versicherte Helen rasch.
„Wenn wir von hier fortmüssen, wo werden wir dann hingehen?“
„Unser fürsorglicher Bruder denkt daran, uns in den Rowan Walk abzuschieben.“
Charlottes zarte Wangen röteten sich. „Aber das ist doch da, wo … gewisse Frauen wohnen … oder?“
„In der Tat.“ Helen lachte. „Ich deutete an, dass Iris von der Adresse besseren Gebrauch machen könnte als wir.“
Charlotte riss entsetzt die Augen auf. „Nein, das hast du nicht gewagt!“
„Und ob“, erwiderte Helen grimmig. „Und nach dem Blick zu urteilen, den die beiden daraufhin tauschten, ist an den Gerüchten wohl leider mehr dran, als unserem Bruder lieb sein kann.“
„Dieses Mal ist sie hinter Sir Jason Hunter her?“
„Emily Beaumont meinte, dass Iris einen ziemlichen Narren aus sich machte, als sie ihm im Vergnügungspark hinterherlief.“ Helen lächelte spöttisch. „Offenbar hatte er größeres Interesse an einer Dame von etwas zweifelhaftem Ruf. Mrs. Tucker ist allerdings wirklich reizend. Ich glaube, ich habe sie ein- oder zweimal in einem Stoffladen gesehen.“
Charlotte sah sie empört an. „Der arme George muss sich so gedemütigt fühlen.“
Helen lag es auf der Zunge, ihrer Schwester zu sagen, dass der „arme“ George ein Dummkopf war, der selbst die Schuld trug am Verhalten seiner Gattin, aber dann zuckte sie nur die Achseln. Sie hatten genug mit ihren eigenen Sorgen zu tun. Ihr Bruder brachte ihnen wenig Mitgefühl entgegen, also konnte er auch allein mit seinen Problemen fertig werden. Und wenn ihr monatlicher Unterhalt bis zum Ende dieser Woche nicht angekommen war, würde Helen seinen Problemen noch ein weiteres hinzufügen.
2. KAPITEL
„Nun schenk der Dame schon ein Lächeln, sonst werden wir sie nie los.“
Sir Jason Hunter warf dem Gentleman, der diese maliziöse Bitte an ihn gerichtet hatte, einen vernichtenden Blick zu und mischte dann wieder geistesabwesend die Karten in seiner Hand.
„Vielleicht sollte ich sie bitten, sich zu uns zu gesellen. Solange Mrs. Kingston mit den Wimpern klimpert, um deine Aufmerksamkeit zu erregen, wird sie sich nicht auf das Spiel konzentrieren können, und ich hätte die Chance, sie um eine beträchtliche Summe zu erleichtern.“
Ein weiterer missbilligender Blick war die Antwort auf diesen spöttischen Vorschlag. Sir Jason hatte für die Sticheleien seines jüngeren Bruders nicht viel übrig. Erstens fand er weder Iris Kingston noch ihr unverhohlenes Interesse an ihm besonders einnehmend, zweitens wurde seine neue Mätresse zunehmend launischer, weil sie sich einbildete, eine Rivalin zu haben.
Mark Hunter lümmelte sich lässig in seinem Sessel und unterzog Iris einer unverschämten Musterung. „Sie ist ja recht hübsch und so verzweifelt darauf bedacht, dir zu gefallen, dass du ein Narr wärst, wenn du dich nicht entgegenkommender zeigtest.“
Jason ließ die Karten auf den grünen Tisch fallen und schob seinen Sessel zurück, die Lider halb geschlossen vor Langeweile. „Ich brauche etwas zu trinken“, erklärte er dann und erhob sich. „Hast du gesehen, ob Diana schon eingetroffen ist?“
Geschickt sammelte Mark die Karten mit einer Hand ein und wies mit einer Kopfbewegung zu der Tür, die vom Spielzimmer in den Gang führte. „Sie stürmte vor ein paar Minuten dort hinaus. Ich nehme an, sie entdeckte deine Bewunderin, lange bevor du es getan hast.“
Jason steckte die Hände in die Taschen und stieß gereizt den Atem aus. Trotzdem begab er sich in die Richtung, die seine schmollende Geliebte genommen hatte. Während er sich einen Weg durch die Menge bahnte, in der sich auch Mrs. Kingston befand, wurde ihm vage bewusst, dass die Damen ihre
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