Ein unverschaemt charmanter Getleman
derer ihres Vaters waren. Das Alter hatte seine Haare eher an Leuchtkraft verlieren lassen, als dass sie ergraut wären, und auch seine Augen schienen zu einem blasseren Blau verblichen zu sein, wenngleich sein Blick immer noch wach und rege war.
Als sie einander vorgestellt wurden, deutete jedoch nichts in seiner Miene darauf hin, dass er wusste, wer Alistair war. „Mr. Carsington hat dir einen Brief geschrieben, Papa“, erinnerte ihn Miss Oldridge. „Wegen Lord Gordmors Kanal. Du hattest für heute einen Termin mit Mr. Carsington verabredet.“
Mr. Oldridge runzelte die Stirn. „Habe ich das wirklich?“ Er dachte einen Augenblick nach. „Ach ja. Der Kanal. Genau so hat Smith seine Beobachtungen gemacht, müsst ihr wissen. Faszinierend, sehr faszinierend. Auch Fossilien. Äußerst erhellend. Nun, Sir, ich hoffe, Sie bleiben zum Abendessen.“
Weg war er und ließ Alistair sprachlos zurück.
„Er muss jetzt seine neue Spezies besuchen“, ließ sich die samtweiche Stimme kühl neben ihm vernehmen. „Dann wird er sich zum Abendessen umziehen. In den Wintermonaten essen wir früh, und der einzige Ort, an dem Sie meinen Vater zuverlässig finden können, ist abends im Speisezimmer, pünktlich auf die Minute. Ganz gleich, wo er tagsüber gewandert oder von welchem botanischen Rätsel er gerade in Beschlag genommen wird, er schafft es stets, rechtzeitig zum Essen zu Hause zu sein. Ich rate Ihnen, seine Einladung anzunehmen. Das gibt Ihnen gut zwei Stunden, Ihren Fall darzulegen.“
„Es wäre mir eine Ehre“, erwiderte Alistair, „aber ich bin für den Anlass nicht passend gekleidet.“
„Sie sind bereits jetzt eleganter gekleidet als alle Leute, mit denen wir im Laufe der letzten Jahre zu Abend gegessen haben“, versicherte ihm Miss Oldridge. „Papa wird ohnehin nicht bemerken, was Sie anhaben. Und mir ist es völlig gleichgültig.“
Es stimmte tatsächlich, dass Mirabel Oldridge die feinen Nuancen der äußeren Erscheinung recht einerlei waren. Nur selten achtete sie darauf, wie andere sich kleideten, und es machte ihr das Leben leichter, wenn die anderen es an ihr ebenso wenig beachteten. Sie kleidete sich schlicht, weil sie die zahlreichen Männer, mit denen sie zu tun hatte, ermutigen wollte, sie ernst zu nehmen - ihr zuzuhören, statt sie nur anzuschauen -und sich auf das Geschäftliche zu konzentrieren.
Zu ihrem größten Unbehagen musste sie sich nun eingestehen, dass sie Mr. Carsington wiederholt und sehr aufmerksam betrachtet hatte, vom Scheitel seines eleganten Hutes bis zur Sohle seiner auf Hochglanz polierten Stiefel.
Ihr war nicht entgangen, dass sein dunkelbraunes Haar einen goldenen Schimmer hatte, wie er auch in seinen tief liegenden Augen aufschien. Sein Gesicht war kantig, sein Profil bis ins kleinste Detail aristokratisch. Er sah auf beunruhigende Weise gut aus, hochgewachsen, schlank und doch breitschultrig. Selbst seine Hände waren lang und feingliedrig. Als er angeboten hatte, ihr mit dem verknoteten Hutband zu helfen, war ihr von einem einzigen Blick auf seine Hände ganz schwindelig geworden.
Dass er dann so nah bei ihr gestanden hatte, um die Bänder zu entwirren, hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Ein angenehmer Duft hatte sie gestreift, Rasierseife vielleicht - so schwach, dass Mirabel nicht einmal sagen konnte, ob sie es sich nicht nur eingebildet hatte.
Sie meinte zu wissen, dass ihre Verwirrung allein ihrer Aufregung zuzuschreiben sei - was nur allzu verständlich wäre. Schließlich war etwas geschehen, was nicht nur gänzlich ungewöhnlich und unerwartet, sondern ihr auch sehr unlieb war.
Nachdem es vor Jahren fast ein Desaster gegeben hätte, war sie dazu übergegangen, sich über alle Belange ihres Vaters auf dem Laufenden zu halten. Auf diese Weise würde niemand sich auf seine Kosten einen Vorteil verschaffen oder aber ihr selbst unliebsame Überraschungen bereiten können. Auf diese Weise würde sie jederzeit genau wissen, was zu tun war.
So erledigte sie beispielsweise die gesamte Korrespondenz ihres Vaters. Er musste sich nur noch durchlesen, was sie geschrieben hatte, und seine Unterschrift daruntersetzen. Zumindest schien es so, als würde er sich durchlesen, was sie ihm vorlegte. Mit Sicherheit ließ sich nie sagen, ob er in Ge-danken wirklich bei der Sache war. Meist war er viel zu sehr damit beschäftigt, die Geheimnisse floraler Fortpflanzung zu entschlüsseln, um seine Aufmerksamkeit den Briefen der Verwandtschaft zu widmen oder einem
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