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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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sein.
    »Welches Medikament hatte er genommen?«, fragte er nach einer langen Pause, die sie fast unerträglich fand.
    »Veronal.«
    »Und seine Wange war kalt, als du sie berührt hast?«
    »Nein, sie war nicht kalt.«
    »Willst du damit sagen, dass er noch lebte?«
    »Nein, das würde ich so nicht sagen.«
    »Aber ein Mensch wird kalt, wenn er stirbt.«
    »Gut, technisch gesehen war er vielleicht noch nicht tot. Aber er wollte sterben.«
    »Du sagst also, dass er noch am Leben war?«
    Jetzt war seine Stimme schneidend. Am liebsten hätte sie noch einmal von vorne begonnen. Vielleicht hatte sie sich falsch ausgedrückt, dachte sie, vielleicht hatte sie am falschen Ende angefangen.
    »Als ich erkannte, was passiert war, geriet ich natürlich in Panik. Ich lief nach draußen, um nach Hedvig zu rufen. Sie kam angerannt, ließ wegen meines irren Geschreis einen Teller fallen, machte kehrt, um ihn aufzuheben … du weißt schon, diese verrückten Dinge, die man dann macht … überlegte es sich wieder anders und lief zu mir. Hedvig ist in solchen Situationen geistesgegenwärtig. Sie rüttelte Andreas und erkannte sofort, dass er eine Überdosis genommen hatte. Außerdem hatte er getrunken, was mir anfangs nicht klar gewesen war. Er war … er war fort.«
    »Aber euch beiden muss doch bewusst gewesen sein, dass man in solchen Situationen handeln kann? Es ist durchaus möglich, einen Menschen zu wecken, der Schlafmittel genommen hat, und für ärztliche Hilfe zu sorgen. Das wusstet ihr selbstverständlich, oder?«
    »Wir beschlossen, davon abzusehen.«
    »Wie meinst du das?«
    Sie griff wieder nach dem Glas und trank einen Schluck. Ihre Hand zitterte jetzt noch mehr, als sie es auf den Tisch zurückstellte. Nein, so hatte sie sich das nun wirklich nicht vorgestellt.
    »Poul, du musst versuchen, das zu verstehen. Andreas wollte sterben. Er war schwerkrank und hatte keine Kraft mehr. Er hatte Abschiedsbriefe geschrieben und sich entschieden. Sollten wir ihn da aufwecken? Gegen seinen letzten Willen?«
    »Das … das ist doch nicht zu fassen! Begreifst du eigentlich, was du da sagst? In einer solchen Situation hast du einem anderen Menschen gegenüber Pflichten! Es war ein Missgeschick! Begreifst du nicht, er wollte , dass du ihn weckst! Begreifst du denn rein gar nichts, Mensch!«
    Sein Blick bohrte sich förmlich in sie hinein. Er war vernichtend. Wie seltsam, dachte sie, dass ich auf diesen Wutanfall nicht vorbereitet gewesen bin. Sie hatte das Gefühl, von einem Menschen beschuldigt zu werden, der Andreas im Grunde nie gekannt hatte.
    Plötzlich dachte sie auch an die vielen Wutanfälle von Andreas, die für sie ebenso schwer zu deuten gewesen waren. Sie schienen durch etwas ausgelöst zu werden, das jenseits ihre Fassungsvermögens lag.
    Jetzt war es genauso. Der gleiche durchdringende, kalte Blick. Andreas’ Schmerz hatte sie immer wie ihren eigenen getragen, weil sie hoffte, dies würde ihm helfen. Wenn sein Zorn aufwallte, kümmerte sie sich um ihn und nahm seine Trauer so auf sich, dass er seine Arbeit fortsetzen konnte. Das war ihre Aufgabe. Nicht weil sie es gemusst hätte, sondern weil sie es wollte. Natürlich hatte sie ihn sterben lassen. Es war sein letzter Wille. Sie hätte alles für ihn getan, ihre Liebe hatte keine Grenzen.
    Plötzlich erkannte sie, dass sie ein Idiot gewesen war. Wie sollte ein anderer ihre grenzenlose Liebe verstehen können? Und dann ausgerechnet Poul? Wie hatte sie nur so dumm sein können? Wäre doch nur Hedvig dabeigewesen. Sie hätte es so erklären können, dass Poul ein klares Bild davon bekommen hätte, was an jenem Tag in Tyringe geschehen war. Hedvig hatte Madeleine auf die Wange geküsst und leise das Zimmer verlassen. Danach war Madeleine mit Andreas allein geblieben, hatte sich zu ihm gelegt, die Arme um ihn geschlungen, seinen tiefen Atemzügen gelauscht, die in immer größeren Abständen kamen, seinen Nacken geküsst, in sein Ohr geflüstert.
    So hatte sie dort gelegen, und seinen letzten Atemzug würde sie niemals vergessen. Er war so lang, so gedehnt und endete mit einem kurzen Einatmen, das weniger als eine Sekunde währte. Dann war er fort.
    Sie hatte es sofort gewusst.
    Sie hatte ihn noch etwas fester umarmt. Sie wollte ihn niemals loslassen, wusste jedoch, das war es, was er getan hatte. Er hatte sie verlassen und sie ihm schon verziehen. Jeder Mensch sollte jemanden haben, der ihn in den letzten Minuten seines Lebens in den Armen hielt.
    Wenn sie daran dachte,

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