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Ein unversoehnliches Herz

Titel: Ein unversoehnliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Bravinger
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weitersprechen zu können.
    »Keiner weiß das besser als ich. Diese Todessehnsucht, ich wusste, wie sie sich ausdrückte. Er wurde langsam, ganz langsam erstickt. Man könnte sagen, dass er jahrelang erstickt wurde oder während der Minuten, in denen die Medikamente wirkten.«
    Poul wischte sich mit der Serviette über den Mund, legte sie auf den Tisch und schob den Teller von sich.
    »Wenn man unter großem Druck steht, passiert es einem leicht, dass man eine zu hohe Dosis einnimmt.«
    »Aber lieber Poul, hast du es dir etwa so zurechtgelegt? Eine zu hohe Dosis? Will es dir denn gar nicht in den Kopf, dass Andreas sich das Leben genommen hat? Kannst du das nicht akzeptieren? Er wollte sterben.«
    »Er ist ja leider nicht hier und kann sich folglich nicht dazu äußern, nicht wahr?«
    »Ich werde dir etwas erzählen«, sagte Madeleine und lehnte sich vor.
    Sie spürte die Glut an ihrem Hals aufsteigen und wusste, dass sie eher vor Wut als aus Schüchternheit feuerrot anlief. Jetzt gab es kein Zurück mehr, und es war ein schönes Gefühl, endlich sprechen zu dürfen.
    »Jetzt hör mir mal gut zu, Poul Bjerre. Es gibt etwas, das ich dir erzählen will. Das ich dir erzählen muss.«

Ich liebe dich, Poul.
    Das stand in dem Brief, den du nie gelesen hast. Ich schrieb es in meinem letzten Versuch, dich zu erreichen. Es tat körperlich weh, den kurzen Satz zu Papier zu bringen.
    Es gibt so wenige Menschen, zu denen man diese Worte sagen kann. Vater habe ich sie gesagt, aber zu spät. Er lag in seinem Sarg, und ich verstreute eine Handvoll Erde und flüsterte die Worte. Ich sagte sie oft zu Amelie und ebenso oft zu Madeleine.
    Aber ich sagte sie nie zu dir.
    Es fiel mir so viel leichter, dich zu hassen. Und ich hasste dich von ganzem Herzen.
    Ich dachte an damals im September 1913: Ich löste bei dir etwas aus, das dich die Kontrolle verlieren ließ. Wahrscheinlich bin ich der einzige Mensch, der dich jemals so weit gebracht hat.
    Gibt es dafür ein anderes Wort als Liebe?
    Als ich in Dorpat an einer doppelseitigen Lungenentzündung erkrankte und kaum noch Hoffnung hatte, sie zu überleben, warst du Madeleines Stütze. Als ich zum ersten Mal wieder aufstehen konnte, fiel mein Blick auf einen Brief, den du ihr geschrieben hattest. Ich begriff, dass er mit Bedacht an sie adressiert worden war. Ich sollte ihn nicht sehen.
    Du schriebst ihr, Sören Christer sei aus der Anstalt in Deutschland weggelaufen, und du würdest an einer Lösung des Problems arbeiten und wolltest ihn nach Schweden zurückholen. Er könne bei dir wohnen. Schlimmstenfalls würdest du Vårstavi um einen zusätzlichen Gebäudeflügel erweitern. Sören Christer könne gerettet werden, wenn er in diesen sensibelsten Jahren genug Unterstützung bekomme. Du schriebst, du seist mit den Diagnosen der Ärzte nicht einverstanden, ihnen sei mehr daran gelegen, einen Menschen einzusperren, als ihn zu heilen.
    Einen Satz hattest du in deinem Brief unterstrichen. Ich dürfe unter keinen Umständen erfahren, dass Sören Christer weggelaufen war. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass ich nie mehr genesen werde. Du würdest dich um die Angelegenheit kümmern und mich zu gegebener Zeit wissen lassen, was vorgefallen war.
    Du schriebst, Madeleine solle versuchen, für meine Genesung zu sorgen, und mir helfen, mein Buch zu beenden und so weit wie möglich meinen Unterrichtsverpflichtungen nachzukommen. Nichts sei wichtiger als das. Mit vereinten Kräften würdet ihr mich ins Leben zurückholen.
    Darüber hinaus erklärtest du dich bereit, zwischen mir und Amelie zu vermitteln, damit Sören Christer eine neue Chance bekommen könne.
    Ich las den Brief und legte ihn in den Umschlag zurück. Anschließend ging ich wieder zu Bett, wo ich weitere vier Tage verbrachte. Er vermengte sich mit meinen Fieberträumen, und es war unklar, ob ich ihn wirklich gelesen oder im Zustand der Verzweiflung erfunden hatte. Aber ich hatte ihn gesehen. Und ich weiß, dass du Madeleine weitere Briefe geschickt hast, deren Inhalt ich nicht kenne.
    Du wolltest mich retten, am Leben erhalten, Poul. Fandest du deshalb, dass ich dich in Tyringe verriet, als ich aufgab?

Und ganz unten gibt es präkambrische Felsarten,
    die über zwei Milliarden Jahre alt sein sollen.
    Vårstavi, 27. November 1925
    Der große Canyon im Nordwesten Arizonas, der Grand Canyon, ist über vierhundert Kilometer lang. Sechs Millionen Jahre hat sich der Colorado in den Felsgrund gegraben, wodurch eine fast zwei Kilometer tiefe

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