Ein verführerischer Akt
»Dann könnten die ebenfalls auf so eine abstruse Idee kommen.«
»Daran hätten Sie denken sollen, ehe Sie sich als Modell zur Verfügung stellten.« Julian fragte sich, ob irgendjemand außer ihm den Diamanten auf dem Gemälde kannte und sich dafür interessierte oder ihn bereits auf dem Ball wahrgenommen hatte, als er Rebeccas schönen Hals schmückte. Aber vermutlich erinnerte sich kaum jemand noch an das Geschenk eines Maharadschas und den damit zusammenhängenden Skandal. Jetzt schimmerte der rote Stein über ihnen im Lampenschein. Warum war sie nur so dumm gewesen, ihn in der Öffentlichkeit zu tragen? Und sich damit auch noch malen zu lassen?
Rebecca warf den Kopf zurück und fragte herausfordernd: »Und was bekommen wir, wenn keiner von Ihnen die Wahrheit herausfindet?«
»Sie wollen mit in die Wette einsteigen?«, fragte Julian, den die sich daraus ergebenden Möglichkeiten faszinierten. Warum war er so erpicht darauf, dass die junge Frau – bestimmt war sie mehrere Jahre jünger als er – sich ganz offen auf etwas einließ, was ihren Ruf ruinieren konnte?
Nun ja, schließlich hatte sie sich dieser Gefahr bereits ausgesetzt, indem sie sich als Aktmodell zur Verfügung stellte. Er ertappte sich dabei, dass er den Künstler beneidete und sich fragte, was für eine Beziehung die beiden verbinden mochte. Dann drängte er sein Interesse an ihr zurück und versuchte sich wieder auf den Diamanten zu konzentrieren.
»Na, dann bekommen Sie natürlich das Gemälde«, sagte Leo, ehe Julian eine Antwort geben oder protestieren konnte.
»Damit ich es richtig verstehe …«, sagte Rebecca und kniff die Augen zusammen. »Sie drei wetten, wer für das Gemälde Modell gesessen hat. Und wenn keiner es herausfindet, bekommen wir das Bild.«
»Richtig«, erwiderte Julian, während er weiterhin krampfhaft überlegte, wie er diese lächerliche Wette zu seinem Vorteil nutzen konnte.
»Wir müssen natürlich noch einen Zeitrahmen festlegen.« Rebecca sah ihre Schwester und ihre Cousine nachdenklich an und richtete den Blick anschließend wieder auf die Männer. »Sie haben eine Woche Zeit, den Namen des richtigen Modells herauszufinden, meine Herren. Sie müssen jedoch handfeste Beweise vorlegen und dürfen nicht nur raten.«
»Lächerlich«, meinte Leo spöttisch. »Eine Woche reicht nicht einmal annähernd. Wir brauchen Zeit bis zum Ende der Saison.«
»Nein«, wehrte sie ab. »Ich verlängere auf einen Monat, aber nicht einen Tag mehr.«
Julian wechselte einen Blick mit seinen Freunden und nickte dann zustimmend mit dem Kopf. Das würde ihm genug Zeit geben, um allen Hinweisen zum Verbleib des Colliers nachzugehen, die Hintergründe des damaligen Skandals aufzudecken und den Namen seines Vaters reinzuwaschen. Ihn von den Toten zurückzuholen, das würde ihm nicht gelingen, dachte er voller Bitterkeit.
Die drei Frauen gingen an ihnen vorbei. Die Männer wechselten kurze Blicke, bevor sie ebenfalls den Salon verließen und den verkleideten Gestalten nachschauten. Übers Geländer der Galerie gebeugt beobachteten sie, wie die Frauen die Treppe ins Erdgeschoss hinuntergingen, die Halle durchquerten und durch die große, schwere Eingangstür entschwanden.
Leon grinste. »Na, das war aber mal ein vergnüglicher Abend.« Er sah Julian an. »Du überraschst mich, alter Freund.«
Alte Freunde, dachte Julian, das waren sie tatsächlich. Sie kannten sich seit der Schulzeit in Eton, doch hatte Julian bereits mit zehn Jahren das berühmte Internat verlassen müssen, weil sein Vater das Schulgeld nicht mehr zahlen konnte. Trotz seiner hohen Abstammung ließen viele sogenannte Freunde ihn damals links liegen und akzeptierten ihn erst wieder, nachdem er wieder zu Reichtum gekommen war. Julian dachte noch oft an diese bitteren Jahre zurück.
Leo jedoch hielt zu ihm. Für ihn spielte Geld keine Rolle. Er lud Julian auch weiterhin in den Ferien zu sich ein und besuchte ihn, obwohl es damals in Julians großer Familie drunter und drüber ging. Die Freundschaft mit Peter hingegen war jüngeren Datums. Ihn hatte Julian erst sehr viel später kennengelernt, als der andere sich als jüngerer Sohn aus unbedeutendem Landadel schwertat, in die Londoner Gesellschaft aufgenommen zu werden. Da hatte Julian, bereits Earl of Parkhurst und zu neuem Wohlstand gelangt, ihm sehr geholfen, auch in geschäftlicher Hinsicht. Schnell hatte Peter begriffen, wie man Chancen des Marktes erkannte und geschickt investierte, und war bei mehreren
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