Ein verführerischer Akt
Eisenbahnlinien Julians Geschäftspartner geworden.
Leo klopfte den beiden auf den Rücken. »Möge der Bessere gewinnen.«
Julian hatte das Gefühl, als würde eine frische Frühlingsbrise durch sein Leben ziehen und ihn aus tiefem Winterschlaf erwecken. Er fühlte sich in einer Art und Weise herausgefordert, wie er es schon nicht mehr für möglich gehalten hatte. Und das alles durch eine schöne junge Frau, deren Geheimnis möglicherweise mit dem seiner Familie verbunden war.
Kapitel 2
Als das Mittagessen am nächsten Tag zu Ende ging, war Rebecca Leland aufrichtig froh, als Lady Fogge vorschlug, ihre Gäste möchten sich doch in den Wintergarten begeben. Rebecca hätte es nämlich keine Minute länger ausgehalten, über den Tisch hinweg in die wissende, amüsierte Miene des Earls of Parkhurst zu blicken, und sie fürchtete bereits, sie könnte ihre gute Erziehung vergessen und … Ja, was? Lachen? Lachen, bis sie nicht mehr konnte, denn die Situation, in die sie sich gebracht hatte, war wirklich grotesk. In ihrem bisher behüteten Leben zweifellos das Aufregendste überhaupt. Sogar ihre Schwester und ihre Cousine waren zutiefst schockiert gewesen, als sie von dem Gemälde erfuhren, hielten dann aber trotzdem zu ihr. Auch der gestrige Abend saß ihnen noch in den Knochen, und während sie selbst das Abenteuer genoss, überwogen bei den beiden Angst und Entsetzen. Rebecca verspürte darüber hinaus noch eine merkwürdige Erregung, wenn sie an den jungen, attraktiven Earl dachte, der sie bis in ihre Träume verfolgte.
Es war also völlig unnötig, dass ihre Schwester Susanna ihr über Lady Fogges Esstisch hinweg immer wieder mitfühlende Blicke zuwarf, denn Rebecca bedurfte keiner seelisch-moralischen Unterstützung. Sie genoss vielmehr die Anwesenheit von Julian, während Susanna heilfroh zu sein schien, dass der Quälgeist, der auf sie gewettet hatte, nicht eingeladen war. Oder es war für Leo Wade, den nichtsnutzigen Halunken, noch zu früh am Tage, um sich aus dem Bett zu erheben, dachte Rebecca und unterdrückte dabei ein höhnisches Grinsen.
Nicht so Julian Delane. Er war schließlich Geschäftsmann, hieß es zumindest. Und ein begehrter Junggeselle. Während sich die zwanzigköpfige Gesellschaft gemächlich in Richtung Wintergarten begab, unterhielt er sich mit der Gastgeberin, die ihre Freude über seine Anwesenheit nur schwer verbergen konnte. Lady Fogge war eine freundliche Frau mit molligem Gesicht und einer Tochter, die ihr jüngeres Ebenbild war und dringend unter die Haube musste. Da kam ihr der unverheiratete Lord Parkhurst gerade recht, und weil dieser fast schon in dem Ruf stand, ein Einsiedler zu sein, schätzte sie sein Kommen besonders hoch ein und wertete es als gutes Zeichen.
Rebecca hatte ihn bislang nicht gerade häufig gesehen und ihn nie näher kennengelernt. Natürlich wurde so dies und das über ihn geredet, nicht immer schmeichelhaft, wusste sie. Gerüchten zufolge stand der Reichtum der Familie mit einem schmutzigen Skandal in Verbindung, aber sie hatte nie erfahren, um was genau es sich dabei handelte. Ihre Mutter, Lady Rose Leland, war der Meinung, dass man nicht über anderer Leute Affären tratschen sollte, wenn sie nicht selbst Gegenstand des allgemeinen Interesses werden wollten, denn auch in ihrer Familie gab es viele Skandale und Peinlichkeiten, auf die sich die Klatschmäuler nur allzu gern stürzen würden. Allerdings hatte sie zumindest geäußert, dass Lord Parkhurst sich ihrer Meinung nach nicht so benahm, wie es einem Earl gebührte, weil er viel zu viel Zeit auf seine Geschäfte verwandte. Sie vermittelte Rebecca das Gefühl, ein Mann, der es wagte zu arbeiten, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, könne kein wahrer Gentleman sein und sei deshalb zu meiden.
Eine unschuldige Debütantin würde bei seinem Anblick bestimmt die Flucht ergreifen, dachte sie, als sie wieder einen Blick in seine Richtung warf, während die Gäste die Stufen in einen kleinen, aber üppig bewachsenen Wintergarten hinabstiegen, wo sich mit zerkleinerten Muschelschalen ausgelegte Wege um Farne, Bäume, blühende Kamelien und einen sprudelnden Springbrunnen, der die Form eines Fisches hatte, wanden. Der Earl of Parkhurst sah weiß Gott nicht wie der typische Edelmann mit schlanken Gliedern und aristokratischen Gesichtszügen aus. Nein, Lord Parkhurst wirkte eher … Ja, wie eigentlich? Ihr Cousin, der Duke of Madingley, hatte ihn einmal spöttisch als Straßenschläger bezeichnet. Erneut
Weitere Kostenlose Bücher